Wieder einmal ist ein Grenzübertritt fällig, wir reisen zum fünften Mal nach Chile ein. Beim Abendessen haben wir fast alles an Gemüse verbraucht, sodass wir beim Lebensmittelinspektor nur mehr ein paar Knoblauchzehen und ein Stück Käse abgeben müssen. In Chile Chicco wechseln wir in der Bank Geld, gehen einkaufen und nach einem kurzen Bummel fahren wir weiter.
Für die vor uns liegende, ca. 120 km lange Strecke entlang des Lago General Carrera, brauchen wir den ganzen Nachmittag. Herrliche Ausblicke auf den smaragdgrünen See mit schneebedeckten Bergen dahinter entschädigen uns für die anstrengende Fahrerei. Die Piste gleicht einer Achterbahn, es ist ein ständiges Auf und Ab, das Wellblech zwingt uns ebenfalls zum langsamen Fahren und so dauert es fast fünf Stunden, bis wir ans Ende des Sees kommen und dort auf die Carretera Austral treffen.
Am Lago Bertrand wissen wir einen schönen Übernachtungsplatz direkt am See, an dem wir schon im Januar gestanden sind. Dieses mal hat der See erheblich mehr Wasser und ein Teil der Fläche ist überflutet. Es hat tagelang geregnet, erzählt eine einheimische Frau, die vorbeikommt. Das wäre heute der erste schöne Tag. Dass es viel geregnet hat, bekommen wir am nächsten Tag wieder zu hören, als wir mittags in einem der kleinen Orte im Lebensmittelladen einkaufen.
Wir wissen es zu schätzen, dass die Sonne scheint, schließlich kennen wir die Carretera Austral bei Regen schon. Auch die beiden österreichischen Radfahrer, die wir mehrmals treffen, sind glücklich über das Wetter. Sie erzählen uns, dass sie bei der Fahrt entlang des Lago General Carrera bei einer der Steigungen gemeinsam ein Rad hochschieben mussten, weil der Regen die Piste so aufgeweicht hat und einer allein es nicht geschafft hätte.
Das Wetter bleibt schön und wir genießen die frühlingshaften Temperaturen.
Riesige Lupinenfelder leuchten in gelb oder violett, am Wegrand blüht der rote
Fingerhut, dazwischen sehen wir einen See blaugrün schimmern, einfach alles
zeigt sich dieses Mal von seiner besten Seite.
Zwischen Villa Amenghuel und dem Beginn des Queulat-Nationalparkes wird die
Carretera ausgebaut und verbreitert und wir fahren kilometerlang durch eine
Baustelle. Sie macht den Zustand der Piste im Moment nur schlechter und wir
sind froh, dass an dem Tag nicht gearbeitet wird. Sonst wäre an ein Vorwärtskommen
aufgrund der einspurigen Fahrbahn wohl kaum zu denken gewesen. So aber schaffen
wir es bis zum Nachmittag an den “Ventisquero colgante”, den
hängenden Gletscher.
Er leuchtet uns blau vom Berg herab entgegen, ein toller Anblick. Als wir im Januar hier vorbeikamen, hingen die Wolken bis fast zum Boden herunter und wir wussten gar nicht, in welcher Richtung wir den Gletscher überhaupt vermuten sollten. Spontan beschließen wir, Silvester hier zu feiern. Beim Nachmittagstee sitzen wir in der Sonne, vor uns der Gletscher, ringsum alles ruhig und friedlich und freuen uns über den schönen Jahresausklang.
Der Campingplatz ist gut ausgestattet, an jedem Platz gibt es einen Grill, eine Wasserstelle sowie Bank und Tisch, die unter einem Holzunterstand stehen. Es ist das erste Silvester, seit Beginn unserer Reise im September 2000, an dem es nicht regnet. 2000/20001 in Goa fing es nachts zu regnen an, 2001/2002 in Feuerland mussten wir nach dem Abendessen unter eine Regenplane flüchten. Doch hier, im kalten Regendwald, wo der Regen sozusagen zuhause ist, bleibt es schön. Am Neujahrstag machen wir noch eine Wanderung zu einem Aussichtspunkt. Eine Stunde lang geht es durch den Wald auf einen Berg hinauf, bis wir dem Gletscher gegenüberstehen.
Am Nachmittag fahren wir noch 20 Kilometer weiter bis Puyuhuapi. Hier haben vier Deutsche Männer im Jahr 1935 eine kleine Kolonie gegründet. Auch heute leben ihre Nachkommen noch dort. Im Cafe Roßbach essen wir Schokoladenkuchen und Klaus unterhält sich – auf deutsch natürlich – mit den Söhnen der Besitzerin über unseren Unimog. Sie sind sehr interessiert, haben sie doch selbst eine kleinere Ausgabe davon. Die gegenüberliegende Teppichfabrik besichtigen wir am nächsten Tag auch noch. Weil in dieser Gegend der häufige Regen eine ertragreiche Landwirtschaft unmöglich macht, haben die Gründer der Siedlung nach einer Verdienstmöglichkeit gesucht, die vom Wetter unabhängig ist und sind dabei auf Teppich weben gekommen.
Von Chaiten aus kann man die Carretera Austral noch ca. 60 Kilometer weiter nördlich fahren, dann geht es nur mehr per Fähre weiter. Wir setzen jedoch bereits von Chaiten aus auf die Insel Chiloé über und kommen nach sechseinhalb Stunden in Castro, der Hauptstadt der Insel, an. Weil wir schon mehrmals in Castro waren, machen wir nur einen kurzen Spaziergang, schauen uns nochmal die Kirche an, dieses Mal weihnachtlich geschmückt und fahren dann weiter nach Dalcahue.
Der Ort ist bekannt für seinen Sonntagsmarkt, weil früher die Leute von den vorgelagerten Inseln herkamen, um ihre Waren anzubieten. Heute dagegen gibt es fast an jedem Stand die selben handgestrickten Pullover und Mützen sowie Holzschnitzereien. Sonja kauft sich einen der Körbe, die in Chiloé eine lange Tradition haben. Für die anfallenden Arbeiten in Landwirtschaft und Haushalt gibt es die verschiedensten Ausführungen. Ihrer, so versichert ihr der ältere Mann, wäre eines der Modelle, mit dem man alles transportieren könnte, von den Kartoffeln bis zu den Muscheln.
Wir treffen Heidi und Alfred wieder, denen wir schon ein paar Mal auf der Carretera Austral begegnet sind. Erst gehen wir gemeinsam zum Mittag essen, dann fahren wir zur Fähranlegestelle, um wieder auf das chilenische Festland zu kommen. Wir wollen weiter ins Seengebiet.
Am Lago Calafquen bleiben wir für längere Zeit. Es sind gerade Ferien in Chile und von unserem Platz aus können wir beobachten, wie sich der gegenüberliegende Strand von Woche zu Woche mehr füllt. Das ist aber noch gar nichts gegen die Menschenmassen, auf die wir Anfang Februar an der Küste treffen. In La Serena ist die Hauptsaison voll im Gange und alle wollen an den Strand. Beim Anblick der Badegäste unter den Sonnenschirmen, die sich kilometerlang am Strand hinziehen, fühlen wir uns wie zur Hauptsaison auf Mallorca. Das Ganze ist nicht unser Fall, wir haben es lieber einsamer und ruhiger. Das wird es dann auch, als wir wieder auf der Panamericana in Richtung Norden unterwegs sind.
Die Panamericana zieht sich als Ruta 5 durch ganz Chile und verbindet Arica, die erste Stadt im Norden mit Quellon, der südlichsten Stadt auf der Insel Chiloé. Sie ist 3400 km lang und zwischen Puerto Montt und La Serena vierspurig ausgebaut (und mautpflichtig), während der Rest nur zweispurig ist. Wir sind vom Süden her kommend bereits auf der “Panam” gefahren und haben so die Veränderungen links und rechts der Straße mitbekommen. Südlich von Santiago geht es – oft mit Blick auf schneebedeckte Vulkane – durch Obstplantagen, Weinfelder und landwirtschaftliche Flächen. Entsprechend ist das Angebot der Straßenstände, wir versorgen uns mit frischem Obst und Gemüse direkt neben der Autobahn.
Nördlich von Santiago wird die Umgebung karger, es gibt kaum mehr Obst an den Straßenständen, dafür Brot, süßes Gebäck und Käse. Nur bei der angebotenen Ziege winken wir ab, obwohl sie bei 14 kg Gewicht nur 7000 Pesos (knapp 10 Euro) kosten soll. Auch das getrocknete Eselfleisch, das uns ein anderer Verkäufer schmackhaft machen will, lassen wir hängen. Wir nehmen lieber Oliven und getrocknete Feigen.
Hinter La Serena begleiten uns noch eine kurze Weile Kakteen in der Wüste, die allmählich einzelnen kleinen Büschen weichen. Dann beginnt die Atacama-Wüste, die Berge und die Umgebung sind braun und trostlos. Nachts ist es kalt und bis in den Morgen hinein noch so lange frisch, bis sich der Küstennebel verzogen hat. Dann wird es heiß und windig. Links und rechts der Straße führen staubige Pisten zu Minen. Für uns sind diese Pisten ideal, um einen ruhigen Platz zum Übernachten zu finden. Wir fahren ein Stück von der Hauptstraße weg und stehen dann inmitten einer unwirtlichen, kahlen Umgebung, bei deren Anblick wir uns wie auf einem anderen Planeten vorkommen. Ringsum nur Wüste, keinerlei Vegetation und absolute Ruhe.
In der Atacama-Wüste wurden und werden Bodenschätze der verschiedensten Art abgebaut. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war eine der Haupteinnahmequellen der Salpeterabbau. Nachdem aber Ende des Ersten Weltkrieges die künstliche Herstellung von Nitrat erfunden wurde und man das Salpeter nicht mehr zur Herstellung von Schießpulver brauchte, brach die Salpeterindustrie zusammen. An die Blütezeit dieses Wirtschaftszweiges erinnern heute oft nur mehr Namen der ehemaligen Minen auf der Landkarte oder Überbleibsel wie zum Beispiel ein Friedhof neben der Panamericana.
Was wir von weitem für eine Felsgruppe halten, entpuppt sich beim Näherkommen als Skulptur.
Mitten im Nichts ist die “Mano del Desierto” (Wüstenhand). Leider haben die Besucher wenig künstlerisch alles mit ihren Namen vollgekritzelt und benutzen die Rückseite als Freiluft-Toilette, wie wir bei einem Rundgang feststellen müssen. Wozu die Skulptur ist oder woran sie erinnern soll, finden wir dagegen nicht heraus.
Außerhalb von Antofagasta gibt es ein beliebtes Ausflugsziel, das auch das Wahrzeichen der Stadt ist – La Portada, ein Felsbogen im Meer. Wir haben diesen Platz als Treffpunkt mit unseren Freunden Marianne und Anatol vereinbart und gemeinsam campen wir einige Tage am Meer. Anschließend fahren wir zusammen weiter nach Calama.
Hier planen wir, wohin die Reise weitergehen soll. Es ist von der Reisezeit her noch zu früh für das Hochland, deshalb entscheiden wir uns für einen Abstecher ins bolivianische Tiefland. Der Weg dahin führt über Nord-Argentinien und so steht wieder einmal eine Andenüberquerung an. Wir fahren zuerst weiter nach San Pedro de Atacama, erledigen dort die chilenischen Grenzformalitäten und übernachten außerhalb des Orts. Zum Sonnenaufgang am nächsten Morgen fahren wir dann los. Die Teerstraße auf den Paso de Jama steigt wenige Kilometer hinter San Pedro (gelegen auf 2410 m üNN) steil an und führt uns nach 53 Kilometern und eineinhalb Stunden auf 4800 m üNN hinauf. Damit ist der höchste Punkt der Strecke erreicht, die bis zum Pass wieder allmählich auf 4290 m üNN abfällt. Die Höhe ist für uns immer wieder ein Erlebnis. Wenn man bedenkt, dass der höchste Berg Deutschlands, die Zugspitze, nicht mal 3000 m hoch ist, und wir hier auf weit über 4000 m mit dem Fahrzeug fahren … einfach unvorstellbar.
Dass die Luft hier oben schon ganz schön dünn ist, merken wir bei jeder schnelleren Bewegung. Wir sind sofort außer Puste und müssen mehrmals tief durchatmen. Auch die Drucklufthupe am Unimog quäkt nur mehr leise vor sich hin. Ansonsten jedoch hat der Unimog keine Probleme. Und an den schwarz qualmenden Auspuff haben wir uns schon gewöhnt.
Die Landschaft besteht aus kahlen Bergen, Abwechslung bringt eine kleine Lagune mit wenigen Flamingos, ansonsten ist ringsherum nur Wüste. Kurz vor Mittag erreichen wir nach insgesamt 155 Kilometern den Paso de Jama und das Grenzschild Chile – Argentinien.