Momentan ist hier gerade Herbst und dazu passt der Regen natürlich. Trotzdem sind wir froh, als es nach zwei Tagen endlich etwas aufreißt und nicht mehr ständig regnet. Alles dampft und die Luftfeuchtigkeit liegt bei fast hundert Prozent. Das gibt uns schon mal eine Vorahnung davon, was uns weiter nördlich im Amazonas noch alles erwarten wird.
Die Strecke von und nach Cuiabá sind wir bereits mehrmals gefahren. Positiv überrascht sind wir, als wir feststellen, dass einige schlechte Straßenabschnitte zwischenzeitlich ausgebessert worden sind.
Kurz vor der Grenze der beiden Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Mato Grosso werden wir von der Polizei davon informiert, dass die Brücke über den Fluss gesperrt ist und wir einen Umweg durch die Felder nehmen müssen. Die „Bewegung der Landlosen“ demonstriert hier, um die Regierung an die bei der Wahl gemachten Versprechungen zu erinnern. Bereits vor Tagen hatten wir von Großdemonstrationen in der Hauptstadt Brasilia gehört.
Wir folgen dem Verkehr durch Zuckerrohr- und Maisfelder. Auf der staubigen Piste fahren alle Fahrzeuge mit Licht, weil man sonst kaum was sieht. Wir fahren wie im Nebel dahin. An ein Öffnen der Fenster ist nicht zu denken. Bevor sich die Staubwolke gelegt hat, kommt schon das nächste Fahrzeug. Wir kommen ganz schön ins Schwitzen und wissen nicht, wie lange das Ganze gehen wird. 40 Kilometer und eineinhalb Stunden später ist es dann geschafft. Wir sind in Mato Grosso auf der Teerstraße und steuern die nächste Tankstelle zum Übernachten an. Es ist zwar erst Nachmittag, aber der feine Staub hat es überallhin geschafft und wir veranstalten erst mal eine längere Putzaktion.
In der Nähe von Cuiabá liegt das Berggebiet Chapada dos Guimarães. Dahin machen wir einen Abstecher vor der Weiterfahrt in Richtung Regenwald. Die Berge sind eine willkommene Abwechslung nach den ewig gleichen Landwirtschaftsflächen und Viehweiden. Wir machen erst einen Spaziergang zum Brautschleierwasserfall und gehen dann in Chapada zum Mittagessen. Den Nachmittag verbringen wir am Aussichtspunkt „Ponto Geodésico“, dem geodätischen Mittelpunkt Südamerikas. Wir haben eine phantastische Aussicht auf die unter uns liegende Landschaft und sehen am Horizont sogar das 60 Kilometer entfernt liegende Cuiabá.
Für die vor uns liegende Strecke nach Santarém gibt es nur wenige Informationen. Es ist die einzige Nord-Süd-Verbindung durch den Amazonas-Regenwald in Brasilien. Die Landkarten verweisen lediglich bei einem Teilstück darauf, dass es während der Regenzeit (Dezember bis Mai) nicht zu befahren ist. Bis wir dorthin kommen, wird es Anfang Juni sein und wir hoffen, dass das Stück dann passierbar ist.
1764 km bis Santarém zeigt das Schild an, als wir auf die BR-163 abbiegen. Genau wissen wir es nicht, aber so an die 1000 km davon dürften Piste sein. Zustand der Piste? Nun, wir werden sehen. Wir gehen davon aus, dass es nicht immer einfach sein wird. Wichtig ist vor allem, dass es nicht regnet, weil es sonst zu einer Schlammschlacht werden könnte. Und darauf haben wir nach unseren Erfahrungen in Paraguay keine Lust mehr. Doch erst mal geht es auf der Teerstraße, mal besser, mal schlechter, durch den Bundesstaat Mato Grosso. Es herrscht starker Lkw-Verkehr.
Die Landschaft ist mal wieder das übliche: Viehweiden, riesige Felder, hauptsächlich Mais und Sorghum (Hirseart).
In Sinop gibt es einen ungeplanten Stopp. Am Stadtrand stauen sich Lkws und wir erfahren, dass die Straße blockiert ist. Seit 7 Uhr morgens demonstrieren Bauern gegen den Preisverfall von Soja. Es ist jetzt Nachmittag und angeblich soll irgendwann zwischen 16 und 17 Uhr die Blockade aufgehoben werden. Weil wir die hiesigen Zeitangaben gewohnt sind, machen wir uns keine Hoffnungen und entschließen uns, gleich auf der Tankstelle zu übernachten, neben der wir zum Stehen gekommen sind.
Wie immer wird der Unimog von den brasilianischen Lkw-Fahrern belagert. Ein paar sprechen deutsch und mit ihnen können wir uns unterhalten. Die Angaben bezüglich der Sperre werden konkreter. Angeblich soll am nächsten Morgen bereits ab 6 Uhr wieder alles blockiert werden. Sollte also heute Abend noch geöffnet werden, müssten wir noch losfahren, egal wie spät es ist.
Um 16 Uhr kommt plötzlich Bewegung in den Stau. Die ersten Fahrzeuge aus der Gegenrichtung erscheinen. Gleich darauf geht es auch bei uns los und innerhalb von wenigen Minuten löst sich alles auf. Wir fahren ebenfalls los und bei einer Fabrik sehen wir eine riesige Menschenmenge. Spruchbänder, Plakate, TV-Übertragungswagen – wahrscheinlich war hier das Zentrum der Kundgebung. Als wir daran vorbei sind, herrscht wieder normaler Verkehr.
Die Fahrt durch Sinop zieht sich über 25 Kilometer dahin, dann erreichen wir den Stadtrand. Mittlerweile fängt es zu dämmern an. Die Straße wird immer schlechter und besteht nur mehr aus Schlaglöchern und Teerfetzen. Weit und breit keine Möglichkeit zum Halten, links und rechts ist alles eingezäunt und die Stichstraßen führen nur zu Fazendas. Entgegen unseren Vorsätzen, nachts nicht zu fahren, haben wir gar keine andere Möglichkeit, als solange weiterzumachen, bis eine Tankstelle kommt.
70 km weiter taucht ein Restaurant auf. Mittlerweile ist es halb acht, stockdunkel, und wir sind fix und fertig von dem Gerumpel auf der durchlöcherten Straße. Der Restaurantbesitzer zeigt uns einen Platz unter Palmen und wir öffnen erst mal alle Fenster und Luken, um die Hitze des Tages rauszulassen. Während wir darauf warten, dass es in der Kabine abkühlt, trinken wir ein Bier auf der Terrasse, genießen danach eine kalte Dusche und kommen so allmählich wieder zur Ruhe.
Am nächsten Tag erreichen wir die Grenze der Bundesstaaten Mato Grosso – Pará und damit das Ende der Teerstraße.
Gleich die ersten Kilometer zeigen uns, was wir zu erwarten haben. Die Piste ist in desolatem Zustand, wir schaffen oft nicht mehr als 20 Kilometer in der Stunde. Schneller zu befahrene Abschnitte sind recht selten. Die Strecke führt ständig bergauf, bergab. Oben auf den Hügeln haben wir dann oft weite Ausblicke über die Gegend. Wir sind jetzt bereits im Amazonas-Becken, doch noch fehlt uns irgendwie das Gefühl, durch den größten Regenwald der Welt zu fahren. Entlang der Piste wurde viel abgeholzt, um Platz für Viehweiden zu schaffen.
Im Laufe der kommenden Tage wird der Lkw-Verkehr weniger, werden die Orte spärlicher. Ab Novo Progresso werden die Brücken dann abenteuerlicher.
Der Unterbau ist zwar stabil, doch die oberen Bretter fehlen entweder oder entsprechen nicht unserer Spurbreite. Der Wald wird dichter, die Hitze nimmt zu, 35 – 40 Grad tagsüber, selbst nachts hat es noch 25 – 28 Grad. Ganz allmählich setzt bei uns das Empfinden ein, im Urwald angekommen zu sein.
Interessant sind die wenigen Orte, die wir durchfahren. Erstaunlicherweise treffen wir fast jedes Mal auf jemanden, der deutsch spricht und mit dem wir uns unterhalten können. Ansonsten ist die Bevölkerung eher zurückhaltend. Und besonders beim Filmen haben wir das Gefühl, dass die Leute sehr misstrauisch sind. Erst als wir bei einer Mittagspause im Fernsehen einen Bericht sehen, in dem die Regierung gegen illegale Holzgeschäfte vorgeht, wird uns einiges klar. Das könnte vielleicht eine Erklärung dafür sein, warum man uns ständig nach dem Grund fragt, warum wir hier unterwegs sind.
Mehrmals kreuzen Viehtreiber mit großen Rinderherden unseren Weg, die tagelang unterwegs zum nächsten Ort sind. Lkws sehen wir kaum noch, meistens sind wir alleine auf der Piste unterwegs. Unser Tempo bewegt sich irgendwo um die 20 Kilometer pro Stunde, selten einmal können wir 50 km/h fahren. Insgesamt 6 Tage fahren wir so dahin, dann erreichen wir die Teerstraße, die uns die letzten 95 Kilometer bis Santarém bringt. Obwohl sich die Landschaft mit Beginn der Teerstraße nicht ändert, verliert die Fahrt plötzlich ihren Reiz. Es war zwar anstrengend auf der Piste, laut und heiß. Doch mit dem “Dahinschweben” auf der Teerstraße geht das Gefühl verloren, durch Urwald zu fahren.
In Santarém lassen wir den Unimog waschen. Eine Stunde lang sind drei junge Männer mit Putzen beschäftigt. Anschließend ist von dem roten Staub nichts mehr zu sehen und 960 Kilometer Pistenabenteuer durch den Amazonas sind – leider – zu Ende.
In Santarém suchen wir dann längere Zeit nach einer Reederei oder Transportgesellschaft, die sowohl Fahrzeuge als auch Personen auf ihren Schiffen mitnimmt. Es dauert eine ganze Weile und wir werden von Büro zu Büro weitergereicht, doch die Mühe lohnt sich und am Ende finden wir eine Gesellschaft, die uns mitnimmt. Noch am gleichen Nachmittag soll ein Schiff kommen, teilweise entladen werden und dann weiter nach Manaus fahren. Wir überlegen nicht lange und sagen sofort zu. Wir erledigen noch ein paar Einkäufe und am Spätnachmittag fahren wir schon auf die Balsa. Sie besteht aus 2 Plattformen mit einem Schubschiff dahinter. Unser Platz ist auf der vorderen Plattform, die größtenteils leer ist. Mit Anbruch der Dunkelheit legen wir ab und beginnen eine mehrtägige Fahrt stromaufwärts auf dem Rio Amazonas.
Bereits der erste Tag übertrifft unsere Erwartungen. Dabei beginnt er gar nicht mal so gut. Morgens um 4 Uhr fängt es zu regnen an und die ersten Tropfen wecken uns auf. In Windeseile machen wir die große Dachklappe über dem Bett zu, gleich darauf setzt der typische heftige Platzregen ein und es kühlt ab. Als wir dann um halb sechs Uhr wieder aufwachen, ist bereits alles wieder vorbei. Es hängen noch ein paar Wolken am Himmel, aber die Sonne kommt schon raus und es sieht nach einem schönen Tag aus. Das Thermometer steht bereits auf 25° C.
Nach dem Frühstück setzen wir uns ans vordere Ende der Balsa und genießen die Morgenstimmung. Das Schiff fährt ziemlich dicht am Ufer entlang und wir hören die unterschiedlichsten Vogelstimmen. Ein paar Reiher stehen am Rand, ein Eisvogel flitzt dicht über die Wasseroberfläche und dann sehen wir Delfine im Fluss. Sie sind relativ klein, schwarz-weiß und sie schwimmen nur kurz neben dem Schiff her und verschwinden dann wieder. Wir sind noch ganz begeistert von der kurzen Begegnung, als es in dem braunen Wasser plötzlich rosa leuchtet und zwei rosafarbene Delfine auftauchen. Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. Rosa Flussdelfine, das war wirklich eine Überraschung. Es sollten aber nicht die einzigen bleiben. Noch mehrmals sehen wir einige dieser Exemplare, entweder ganz in rosa, oder auch rosa-grau. Das allein schon macht die Fahrt zu einem Erlebnis.
Im Laufe des Tages kommen wir an zwei Städten vorbei. Wir sitzen auf dem Schiff und alles gleitet langsam wie eine Kulisse mal rechts, mal links von uns vorbei. Große Frachter überholen uns, kleine Passagierboote kommen uns entgegen und mehrmals rudern Fischer herbei, die der Besatzung ihren Fang verkaufen.
Unterbrochen wird unser ruhiger Tagesablauf nur zwei Mal. Wenn nämlich der Koch mit der Trillerpfeife erscheint und uns sowohl Mittag- als auch Abendessen ankündet. Dann treffen wir uns mit den anderen 4 Mitreisenden, brasilianischen Lkw-Fahrern, und essen hinten auf dem Schubschiff. Einer der Männer spricht sehr gut deutsch, er ist die Strecke schon unzählige Male gefahren und erzählt uns einiges davon.
Auch der zweite Tag beschert uns wieder Delfine. Bis zum frühen Nachmittag verlassen wir kaum unsere Plätze auf dem Vorderdeck, weil ständig welche auftauchen. Nur gut, dass die Container genügend Schatten werfen und hier vorne fast ständig ein leichter Windhauch zu spüren ist, denn dieser Tag wird noch heißer als der erste. 43,5°C zeigt das Thermometer in der Sonne. Der Kühlschrank läuft fast ständig durch und wir leeren einen Wasserkrug nach dem anderen.
Erst zum Sonnenuntergang kühlt es auf 35°C ab. Wir fahren fast direkt auf die untergehende Sonne zu und lassen den Tag mit einem kühlen Bier ausklingen.
Am dritten Tag ändert sich allmählich die Landschaft. Wir fahren jetzt an unzähligen Inseln in allen Größen vorbei. Hier ist es offensichtlich, dass der Wasserstand zur Zeit extrem hoch ist. Weit verstreut sehen wir einzelne Häuser oder kleine Dörfer. Bei manchen Häusern steht das Wasser so nahe, dass sich die Bewohner lediglich auf der Terrasse aufhalten können, ansonsten aber keinen Schritt auf trockenes Land machen können. Pferde und Rinder stehen im Wasser, die kleineren Haustiere wie Hunde oder Hühner rücken auf den Plattformen zusammen.
Unsere Begeisterung für die Fahrt hat nicht nachgelassen. Wir haben gar nicht das Gefühl, auf einem Schiff zu sein, weil wir nichts vom Motorengeräusch hören. Immerhin sitzen wir hier vorne fast 150 Meter vom Schubschiff entfernt. Es ist mehr ein Dahingleiten als eine Bootsfahrt. Das Ganze hat etwas Unwirkliches an sich.
Nach Sonnenuntergang tauchen am Ufer unzählige Lichter auf, doch es ist noch nicht Manaus. Das erreichen wir erst gegen dreiundzwanzig Uhr. Zum Ausladen ist es zu spät, und wir verbringen eine letzte Nacht auf der Balsa. Schade, dass die Schiffsreise schon zu Ende ist. Zusammen mit der Durchquerung des Amazonas-Regenwaldes auf der BR-163 (Cuiabá – Santarem) ist sie auf jeden Fall einer der Höhepunkte unserer gesamten Südamerikareise.
Am nächsten Morgen geht es früh los mit dem Entladen und bereits um 10 Uhr können wir von Bord fahren. Es sind nur ein paar Kilometer bis Manaus und je näher wir kommen, desto größer wird das Getümmel. Nach den ruhigen Tagen ist der Schock in der Großstadt umso größer. Wir sind gar nicht mehr an ein Verkehrsaufkommen mit sechsspurigen Straßen gewöhnt.
Wir finden eine Parkmöglichkeit an einer der Ausfallstraßen und fahren von dort aus mit dem Bus in die Stadt. Auf unserem Besichtigungsprogramm steht an erster Stelle das weltberühmte Amazonas-Theater, das 1896 fertig gestellt worden ist. Anschließend schauen wir dem bunten Treiben im Hafen zu. Unzählige Passagierschiffe liegen hier, werden ständig be- und entladen und fahren von hier aus die kleinen Dörfer an, die an den Ufern der Flüsse liegen.
Ansonsten interessiert uns in der Stadt nicht viel und das Klima ist auch nicht gerade erfreulich. Die Luftfeuchtigkeit liegt ständig zwischen 80 und 100 Prozent. Immer wieder gibt es kurze, aber überaus heftige Regenschauer. Die danach folgende Abkühlung ist aber nur von kurzer Dauer, dann steigt das Thermometer wieder weit über die 30-Grad-Marke an.
Der nächste Höhepunkt lässt nicht lange auf sich warten. Auf der Weiterfahrt in Richtung Venezuela passieren wir den Äquator. Vor ca. dreieinhalb Jahren haben wir ihn zum ersten Mal überquert. Damals noch mit dem Schiff auf der Fahrt von Hamburg nach Buenos Aires. Dieses Mal mit dem Unimog. Von nun an sind wir wieder auf der nördlichen Erdhalbkugel unterwegs.
In Boa Vista stehen nur einige Erledigungen an wie Post aufgeben, Wäsche waschen lassen, einkaufen. Zum Glück finden wir außerdem ein Internet-Cafe, in dem wir unsere Webseite aktualisieren können. Danach geht es weiter auf den letzten zweihundert Kilometern zur brasilianisch-venezolanischen Grenze.