Dieses Mal müssen wir das Zollpapier nicht selbst ausfüllen, das erledigt die Beamtin vom Zoll. Gewissenhaft nimmt sie die Foto- und Videoausrüstung sowie das Trike mit auf. Dann fahren wir zur Migracion weiter. Klaus braucht nicht mal auszusteigen. Dem Beamten genügt es, dass er ihn im Auto sitzen sieht, dass er das Einreiseformular unterschreibt, das Sonja ihm hinausbringt, dass sie die 10,– Bolivianos für die Durchfahrt bezahlt und damit sind die Einreiseformalitäten erledigt.
Wir sind froh, dass wir den Weg in Richtung Norden aus der Stadt heraus bereits wissen und das Chaos an der Grenze hinter uns lassen können. Am Stadtrand beginnt dann wieder das System der Straßenmaut. Dieses Mal sind wir besser darauf vorbereitet und Sonja erkundigt sich genau, wofür die jeweils ausgestellten Papiere sind. Im Laufe der folgenden Tage verstehen wir dann auch, wann wir ein Ticket brauchen und wann nur gestempelt wird. Und unser damaliger Verdacht, dass manche der Forderungen nicht unbedingt berechtigt waren, bestätigt sich.
Die Straße bis Santa Cruz ist nicht durchgehend asphaltiert, nach 255 Kilometern ist bei Camiri erst einmal Schluss. Ab hier wird zwar an der Trasse für eine neue Straße gebaut, doch bis sie fertig ist, geht es erst einmal knapp 160 Kilometer lang auf einer Piste weiter. Es wird ein langer Fahrtag für uns, die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei gerade mal 20 km/h. Der viele Regen der vergangenen Tage hat die Piste aufgeweicht, Teile weggespült und die schweren Lkws haben ihre Fahrspuren hinterlassen. An manchen Stellen steht das Wasser und immer wieder bleiben Lkws stecken und müssen von den Raupen herausgezogen werden.
Erst gegen Abend sind wir wieder auf der Teerstraße und am nächsten Tag fahren wir dann nach Santa Cruz de la Sierra, der zweitgrößten Stadt des Landes. Sie ist ein wichtiger Umschlagplatz für Agrarprodukte aus der Umgebung, ein bedeutender Industriestandort und angeblich die Drogenhauptstadt des Landes. Davon merken wir als “Normaltouristen” jedoch nichts. Wir interessieren uns hauptsächlich für die Märkte, auf denen man sich mit allem nur erdenklichen versorgen kann.
Von Sta. Cruz aus führt unsere Route weiter nach Cochabamba. Dabei entscheiden wir uns für die Straße durchs Tiefland. Kurz nach unserer Abfahrt kommen wir in Regen, der uns fast den ganzen Tag begleitet. Die kleinen Dörfer entlang der Straße wirken noch trostloser und verlassener bei diesem Wetter, als sie es wahrscheinlich sonst sind. Je näher wir Villa Tunari kommen, dem letzten Ort im Tiefland, bevor es die Berge hochgeht, desto mehr sehen wir in den Dörfern eine Art kleiner Unterstände aus getrockneten Palmblättern mit Fahnen drauf. Im Ort davor und in Villa Tunari selbst sitzen um diese Unterstände herum unzählige Menschen, manche haben Flaggen oder Spruchbänder dabei. Bei einer Gruppe Männer fragen wir nach dem Grund der Versammlung, doch die Verständigung ist schwierig. Wir verstehen den Mann kaum, weil er eine Backe voller Kokablätter hat und sein Sprechen nur mehr einem Nuscheln gleicht und seinem Dialekt können wir einfach nicht folgen. Es hat irgendwas mit dem Koka-Anbau zu tun, soviel bekommen wir heraus.
In Villa Tunari parken wir auf der kleinen Plaza im Ort und als wir draußen auf einer Parkbank gerade zu Abend essen, kommt ein Mann vorbei und spricht uns an. Seine drei Schwestern leben in Deutschland, erzählt er uns. Er arbeitet in der Gegend für eine Hilfsprojekt, das Straßen baut und versucht, die Einheimischen von einer abwechslungsreicheren Landwirtschaft zu überzeugen. Von ihm erfahren wir auch, was es mit den Versammlungen auf sich hat. Es sind demonstrierende Koka-Bauern, die unbedingt auf ihrem Recht bestehen, auch weiterhin Koka anzubauen. An diesem Abend läuft eine Frist ab und von der Entscheidung hängt es ab, ob sie eine Straßenblockade errichten werden. Der Gedanke daran gefällt uns natürlich gar nicht. Vor 2 Jahren, so erzählt der Mann weiter, hätten die Bauern es geschafft, für 2 Monate die Straße zu blockieren und damit die Lebensmittelversorgung zum Erliegen zu bringen. Aber das wäre eine Ausnahme gewesen, normalerweise würde eine Blockade nur ein paar Tage dauern. Demonstrationen der Koka-Bauern sind in dieser Gegend nichts ungewöhnliches. Nun, für uns ist es heute bereits zu spät zum Weiterfahren, bleibt nur zu hoffen, dass der Bescheid am Abend positiv ausfällt.
Am nächsten Morgen verneint der Kontrolleur im Mauthäuschen unsere Frage nach einer Straßensperre und wir fahren beruhigt los. 30 Kilometer hinter Villa Tunari beginnt der Anstieg ins Hochland, die Straße führt in Kurven bergauf. Als der Teer endet, versperren Lkws die Straße. Also doch eine Blockade?! Klaus erkundigt sich, was los sei und erfährt, dass manche schon seit ein Uhr nachts hier stehen (es ist neun Uhr morgens als wir ankommen). Doch nicht wegen einer Blockade, sondern wegen einer “Überschwemmung”.
Sonja zieht sich also die Gummistiefel an und geht los um nachzuschauen, an welcher Stelle es nicht weitergeht und welchen Schaden die Überschwemmung angerichtet hat. Durch Herumfragen, wo das Problem sei, stellt sich dann heraus, dass wir das Wort falsch übersetzt und interpretiert haben. Das Problem ist, dass der nächtliche Regen die Piste so aufgeweicht hat, dass die schweren Lkws nicht den Berg hochkommen. Die Räder drehen an den Steigungen einfach durch. Ein Teil der Fahrer will nun solange warten, bis die Sonne den Matsch wieder abgetrocknet hat. Die etwas leichteren Lkws überholen die liegen gebliebenen, soweit es der Gegenverkehr zulässt, müssen aber immer wieder stoppen und die entgegenkommenden Fahrzeuge durchlassen. Sie blockieren dadurch die Straße und verursachen einen Stau. Dazwischen werden die bergabwärts fahrenden Busse und Lkws dann hindurchgeleitet.
Uns wundert es, dass sich trotzdem niemand laut aufregt oder wütend wird. Weder die, die den Berg hoch wollen und es nicht schaffen, noch diejenigen, die herunterkommen und sich durch den Stau hindurchmanövrieren müssen. Wenn mal wieder nichts geht, treffen sich die Fahrer, unterhalten sich und wir sind dabei eine willkommene Abwechslung. Einen Unimog bekommen sie hier nie zu sehen. Alle versichern uns, dass es nach diesem schlechten Stück auf guter Teerstraße weitergeht. Langsam und in einem Konvoi arbeiten wir uns mit den anderen zusammen den Berg hinauf. Für eine Strecke von knapp drei Kilometern brauchen wir zwei Stunden. Dann ist der Beginn der Teerstraße erreicht. Im folgenden ist sie nur mehr in kurzen Abschnitten unterbrochen. Die dichten Wolken erlauben uns gelegentlich kurze Ausblicke auf die Gegend. Wir schauen über unendlich erscheinenden Bergregenwald, der die Hügel und Berge bedeckt. Tiefe Gräben durchschneiden die Gegend und Schilder weisen darauf hin, dass es sich hier um eine geologisch instabile Zone handelt.
Alle unsere Reiseführer sind sich darin einig, dass es in Cochabamba keine weiteren Sehenswürdigkeiten gibt und nach einem halben Tag in der Innenstadt können wir dem nur zustimmen. Trotzdem gefällt es uns hier. Auf der hübsch angelegten Plaza mit hohen Bäumen herrscht lebhaftes Treiben, in den Straßen geht es geschäftig zu, an fast jeder Ecke gibt es Internet-Cafes und das Warenangebot in den Geschäften und auf den Märkten ist reichlich.
Auf einem Markt gehen wir auch zum Mittagessen. Die Marktfrauen sind dabei nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Kunden an ihren Tisch zu bringen. Drei, vier reden gleichzeitig auf jeden ein, der sich bei der Suche nach einem Mittagessen durch den Gang wagt. Da wird schon mal sanft gezogen oder in Richtung Tisch geschoben, um nachdrücklich darauf hinzuweisen, wo es das beste Essen gibt. Dabei unterscheidet sich das Angebot der einzelnen Garküchen kaum voneinander. Von unserem Platz aus, wo uns eine der energischen Damen hingewiesen hat, beobachten wir amüsiert das lautstarke Einfangen der Kunden. Wer nur einen Moment zu lange zögert und überlegt, ist schon verloren. Er wird an einen Tisch gesetzt und bekommt eine Suppe hingestellt, den üblichen ersten Gang. Darauf folgt Fisch, Fleisch oder eine Art Eintopf mit Reis. Für das Ganze bezahlt man dann circa 1,–€. Bei dem Preis lohnt es sich nicht, dass wir selbst kochen.
Hinter Chochabamba geht es immer höher hinauf. Wir sind auf dem Altiplano und die Höhen liegen zwischen 3500 und 4100 m üNN. Nach zwei Tagen Fahrt erreichen wir La Paz, die größte Stadt des Landes. La Paz ist nicht die Hauptstadt Boliviens, das ist Sucre, doch weil hier die Ministerien, Botschaften, die Landesregierung sowie die großen Schulen, Universitäten und Firmen ihren Sitz haben, ist es das Zentrum des Landes.
Bei Ernesto Hug in der Werkstatt finden wir einen sicheren Stellplatz und lernen endlich den schweizstämmigen Mechaniker persönlich kennen, von dem wir schon so viel gehört haben. Es gibt angeblich kaum ein Problem, das er und seine Angestellten nicht lösen könnten. Auch uns ist er behilflich, als es darum geht, die hintere rechte Bremse zu reparieren.
Nachdem wir den Reifen abgenommen haben, sehen wir, dass an der Bremsscheibe ein halber Zentimeter fehlt. Eine neue Bremsscheibe gibt es zwar nicht, doch dafür macht uns ein älterer Mann neue Bremsbeläge, die stärker belegt sind und das Fehlen der fünf Millimeter ausgleichen. Nachdem Klaus auch noch den fälligen Kundendienst am Unimog erledigt hat, haben wir in den folgenden Tagen Zeit fürs Besichtigen der Stadt.
Dabei geraten wir zufällig in einen Umzug mit verschiedenen Folkloregruppen in aufwändigen, farbenprächtigen Kostümen, begleitet von lauten Musikgruppen; bewundern anschließend die alten Kolonialhäuser in der schmalen Gasse Calle Jaen sowie die imposante Kirche St. Franziskus mit ihren üppigen Verzierungen. Die Plaza Murillo mit Kathedrale, Parlamentsgebäude sowie der Präsidentenpalast mitsamt seiner bunt gekleideten Ehrenwache stehen ebenso auf unserem Besichtigungsprogramm. Und dann natürlich die Märkte. In der Fußgängerzone gibt es Haushaltswaren und Plastikramsch, entlang des “Prado” (offiziell heißt die breite Straße zwar Av. Mariscal Sta. Cruz und dann Av. 16 de Julio, doch jeder nennt sie nur Prado) ziehen sich die fliegenden Händler mit wechselndem Angebot dahin, an der Plaza Velasco steht in Buchstand am anderen und die Calle Sta. Cruz sowie Max Paredes hinauf bestimmen die blauen Planen des Obst-, Gemüse- und Haushaltsmarktes das Stadtbild.
Nicht zu vergessen die Souvenirläden in der Calle Sagarnaga sowie die berühmte “Hexengasse” (Calle Linares). Hier bieten Kräuterfrauen neben ihren Pülverchen, Medizinen, Heilmitteln und Ratschlägen unter anderem auch getrocknete Lamaföten an. Sie sollen vor Unheil schützen und werden angeblich bei Neubauten mit eingemauert.
Nachdem wir uns das Valle de la Luna (= Mondtal) in Argentinien sowie Chile angesehen haben, darf das bolivianische natürlich nicht fehlen. Es liegt im Süden der Stadt und ist leicht mit einem Bus zu erreichen. Das Gebiet ist relativ klein und auf einem Fußweg zu durchqueren, doch sind die Felsformationen nicht unbedingt spektakulär. Interessanter ist die Fahrt dahin. Sie führt durch den südlichen Teil von La Paz und während der Busfahrt sehen wir hinter hohen Mauern gelegene teure Villen und große Häuser. Die Stadt zieht sich ja entlang der Berghänge hinunter, von 4000 m am oberen Talrand auf 3600 m im Zentrum bis zu 3300 m im Süden. Dabei liegen die ärmeren Viertel oben, weil sie dem kalten Wind des Altiplano ausgesetzt sind und die besseren Wohnviertel befinden sich im windgeschützten Tal.
Eine besonders gute Aussicht auf die Stadt haben wir, als wir uns an die Auffahrt zum Cerro Chacaltaya machen. Auf einer am oberen Ende einspurigen, gerade mal Unimog-breiten, zum Teil sehr holprigen und steinigen Piste fahren wir auf 5200 m hinauf, wo sich ein Observatorium befindet und dann nach 500 m weiter auf einen Parkplatz vor der Hütte des bolivianischen Bergsteigerclubs (5300 m üNN). Die Aussicht ist umwerfend. Hinter uns der schneebedeckte Huayna Potosi (6090 m), vor uns in weiter Ferne der Vulkan Sajama, der an der Grenze zu Chile liegt, rechts der Titicaca-See und links La Paz. Ein traumhaftes Panorama. Auf dem Rückweg übernachten wir dann in einem der Vororte oberhalb des Talkessels. Zu unseren Füßen liegt La Paz und mit der Dämmerung verwandelt sich das graue Häusermeer in ein glitzerndes Lichtermeer, dessen Anblick wir beim Abendessen genießen.
Gesehen haben wir ihn ja schon am Vortag, nach knapp zwei Stunden Fahrt erreichen wir ihn dann auch, den Titicaca-See, den größten See Südamerikas. An der See-Enge von Tiquina setzen wir mit einer Fähre zur anderen Seite des Sees über, der an dieser Stelle nur 800 m breit ist. Die Fähren sind so ausgelegt, dass jeweils nur ein Fahrzeug transportiert wird. Wir erwischen ein paar Jungs und schon beim Auffahren auf die schmalen Bretter zweifeln wir die Erfahrung der beiden an. Während der Fahrt müssen wir den Bootsführer dann mehrmals darauf hinweisen, dass er langsamer fahren soll, weil das Boot zu schwanken anfängt, sich das Ganze auf den Unimog überträgt und der immer mehr zu schaukeln beginnt. Wir stützen ihn links und rechts ab (Befestigungen oder Haltegurte gibt es nicht), um ein weiteres Aufschaukeln zu verhindern. Die halbe Stunde, die die Überfahrt dauert, kommt uns mindestens doppelt so lang vor und wir sind froh, als wir den wackligen Kahn wieder verlassen können.
Copacabana ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Boliviens und die riesige Basilika beherrscht den Hauptplatz der kleinen Stadt. An den Wochenenden finden hier Fahrzeugweihen statt, bei der Autos, Lkws und Busse bunt geschmückt werden, bevor der Pfarrer seinen Segen dazu gibt. Weil man bei einer so wichtigen Sache aber auf Nummer Sicher gehen und sich nicht allein auf die Kirche verlassen will, kommt nach dem Pfarrer die “Kräuterfrau”. Sie umrundet mit ihrem Räucherofen das Fahrzeug und vertreibt mit dem Feuer die bösen Geister. Dann werden noch ein paar Knallfrösche vors Auto geworfen, ein paar Liter Bier oder Sekt darüber gespritzt, bevor sich die Familie bzw. Verwandtschaft ans Seeufer begibt und die gelungene Weihe mit einem feucht-fröhlichen Picknick abschließt.
Copacabana ist Ausgangspunkt für Touren sowohl zur Sonnen- als auch zur Mondinsel. Obwohl der Morgen wolkenverhangen und windig ist, steigen wir ins Ausflugsboot zusammen mit 40 anderen Passagieren. Die anfangs laute Stimmung wird bald ruhiger, weil das Boot von den Wellen hin und her geworfen wird. Ein Teil der Leute versucht zu schlafen, Klaus’ Sitznachbarin greift zu Tabletten, ein junges Paar gegenüber wechselt nach draußen und übergibt sich abwechselnd. Erst als wir nach eineinhalb Stunden in den Windschatten der Insel kommen, wird der See ruhiger und die Gespräche kommen wieder in Gang. Nach zwei Stunden legen wir an der Nordspitze der Insel an. Der Wind hat die Wolken in der Zwischenzeit vertrieben und die Insel macht ihrem Namen alle Ehre. Mit dem Sonnenschein wird es warm und als wir hinter dem Führer her zu den Ruinen laufen, können wir uns vorstellen, auf einer Mittelmeerinsel zu sein. Der heiligste Ort der Insel ist ein großer Felsen, der die Form eines Pumas haben soll (unsere Phantasie reicht dazu nicht aus) und dem See seinen Namen gegeben hat – Titi Khar’ka = Stein der Wildkatze.
Mit dem Boot geht es dann weiter zur Mondinsel. Hier gibt es Überreste eines Tempels zu sehen, doch wir sitzen lieber am Ufer und schauen den einheimischen Frauen zu. Dann fährt das Boot noch einmal zur Sonneninsel. Dieses Mal legt es im südlichen Teil an, direkt bei einer langen Steinttreppe, die von den Inka gebaut worden ist und an deren oberen Ende sich eine “Quelle der ewigen Jugend” befindet. Die Rückfahrt nach Copacabana ist wesentlich angenehmer und ruhiger und die Rettung einer Möwe beschließt den Ausflug. Der Vogel hat sich in einem der ausgelegten Fischernetze verfangen, doch zwei Touristen zücken sofort ihre Messer und befreien ihn daraus, als die Bootsführer nahe genug dran sind. Dann muss nur noch die Schraube des Außenborders von den Resten des Netzes freigemacht werden und es geht zurück.
Von Copacabana aus sind es nur acht Kilometer bis zur bolivianisch-peruanischen Grenze.