Fünf Kilometer weiter ist die argentinische Grenzstation, wo wir die Einreiseformalitäten erledigen. Es ist ziemlich was los, mehrere Lkws mit paraguayischen Kennzeichen sind da, kurz nach uns kommen zwei weitere Lkws und außerdem zwei Busse. Die Abfertigung dauert 45 Minuten, dann können wir weiter. Mit dem Grenzschild hat die Teerstraße aufgehört, die folgenden 120 Kilometer bis zum ersten argentinischen Ort, Susques, fahren wir auf einer – mal besseren, mal schlechteren – Schotterpiste.
Ab Susques gibt es dann 110 Kilometer Teerstraße, an deren Ende wir einen Salzsee, Salinas Grandes, überqueren. Hier ist auch der niedrigste Punkt der Andenüberquerung mit 3500 m üNN. Auf den folgenden 50 Kilometern (wieder Schotter) geht es erst noch mal auf 4200 m üNN hinauf, bevor sich die Straße dann in unzähligen Serpentinen hinabwindet und bei Purmamarca (2500 m üNN) auf die Nationalstraße RN 9 trifft. Wir fahren noch 60 Kilometer weiter bis kurz vor San Salvador de Jujuy (1500 m üNN). Hier gibt es wieder Wald, alles ist üppig grün. Nach den letzten Wochen in karger, meist vegetationsloser Umgebung sind wir davon wie erschlagen. Es ist heiß und feucht, selbst das Wasser im Swimmingpool des Campingplatzes ist warm und bietet keine Abkühlung.
Das Faschingswochende steht vor der Tür und wir haben gehört, dass der Karneval in Humahuaca zwar ziemlich gefeiert wird, dabei aber nicht mehr ganz so traditionell ist und schon mehr zu einer touristischen Veranstaltung geworden ist. Wir beschließen trotzdem, dass wir uns das Ganze anschauen wollen. Denn bei der Fahrt nach Humahuaca kommen wir durch die gleichnamige Quebrada (= Schlucht), die für ihren Farbenreichtum bekannt ist. Kurz hinter San Salvador de Jujuy fängt es an, die Felsen leuchten in rot und grün, sind schwarz, violett oder braun, je nach Mineraliengehalt. Es ist umwerfend, was wir auf diesen knapp 130 Kilometern zu sehen bekommen.
Humahuaca liegt auf 2940 m üNN, hat etwa 4000 Einwohner, ist der Hauptort der Quebrada und hat ansonsten wenig zu bieten. Hauptattraktion ist zweifellos die lebensgroße Figur des Hl. Franziskus, die mittags um 12 Uhr im Glockenturm des Cabildo erscheint und unter den Klängen des Ave Maria die zahlreichen Zuschauer segnet. Vom Dorfplatz steigen wir anschließend auf einer langen Steintreppe zum Denkmal der Unabhängigkeit hinauf, mit mehreren Verschnaufpausen, die uns die Höhe abverlangt. Doch der Blick auf den Ort und die Umgebung ist die kleine Anstrengung allemal wert.
Den eigentlichen Beginn der Karnevalsfeiern markiert das Ausgraben des Teufels, das am Samstag Nachmittag stattfindet. Die einzelnen Karnevalsgruppen haben ihren eigenen Teufel irgendwo in einem Steinhaufen vergraben, wo er ein Jahr lang darauf wartet, dass er ausgegraben und acht Tage und neun Nächte lang im Karneval “regieren” darf. Das bedeutet, dass der Karneval nicht, wie bei uns, am Aschermittwoch endet, sondern erst am Sonntag danach.
Direkt vor dem Campingplatz, im Bett des zur Zeit fast ausgetrockneten Flusses, schauen wir einer Gruppe bei der Zeremonie zu. Ist der Teufel erst einmal los, zieht die Karnevalsgruppe singend und tanzend durch den Ort bis zum Dorfplatz und später wird in einem Tanzsaal bei Musik bis in die Morgenstunden hinein gefeiert. Auf dem Campingplatz hören wir dann die Leute irgendwann zwischen vier und sechs Uhr morgens heimkommen.
An den folgenden Tagen ziehen die Gruppen dann durch den Ort zu verschiedenen Häusern, wo sie mit Chicha (selbstgebrautes Bier aus Erdnüssen oder Mais) sowie Wein versorgt werden. Fast jeder, der an den Umzügen teilnimmt, hat eine dicke Backe, denn das Kauen von Coca-Blättern gehört genauso dazu wie das Bewerfen mit Talk und das Besprühen mit Schaum aus der Dose.
In der Nacht zum Rosenmontag fängt es zu regnen an und am Morgen ist alles grau und trostlos. Weil keine Aussicht auf Besserung besteht, fahren wir wieder zurück nach San Salvador de Jujuy. Unsere Hoffnung, dass das schlechte Wetter hinter uns in den Bergen zurückbleibt, erfüllt sich jedoch nicht. Ganz im Gegenteil. Auch hier unten regnet es mehrmals am Tag, mit nur gelegentlichen sonnigen Unterbrechungen. Außerdem sagt der Wetterbericht für die Richtung, in die wir wollen, in den kommenden Tagen Regen an. Deshalb bleiben wir noch auf dem Campingplatz und erledigen wieder mal die Arbeiten, für die wir sonst keine Zeit haben.
Für die Einreise nach Bolivien fahren wir wieder, wie schon im April des vergangenen Jahres, in Richtung des östlichsten Übergangs bei Yacuiba. Bei einer Polizeikontrolle berichtet einer der Beamten von einer Demonstration, die weiter nördlich stattfinden soll. Etwas genaues weiß er aber nicht, wir sollten bei seinen Kollegen, die dort in der Nähe sind, noch einmal nachfragen. Weil uns immer wieder Fahrzeuge entgegenkommen, hoffen wir, dass sich die Demonstration in der Zwischenzeit aufgelöst hat. Kurz vor dem Ort General Mosconi, wo wir eigentlich übernachten wollen, treffen wir aber auf die Straßenblockade. Busse und Lkws stehen kreuz und quer herum, die Passagiere sitzen irgendwo im Schatten. Klaus geht dem Ganzen nach und dringt bis zu den Streikenden vor. Es handelt sich um Angestellte der YPF-Tankstelle, die schon seit längerer Zeit keinen Lohn mehr gesehen haben. Vor einer Woche haben sie deshalb die Straßenblockade errichtet. Wie lange sie noch bestehen bleibt hängt davon ab, wann eine positive Antwort aus Buenos Aires kommt. Klaus versucht mit ihnen zu verhandeln, doch sie können keine Ausnahme machen. Nicht einmal bis zur Tankstelle wollen sie uns durchlassen, damit wir dort die Nacht verbringen können. Aber sie erklären ihm, wie er zehn Kilometer weiter zurück auf eine Piste kommt, auf der wir den Ort und die Blockade großräumig umfahren können. Wir finden den unbeschilderten Abzweig und folgen einem Kleinlaster, dessen Fahrer uns bedeutet hat, dass wir hinter ihm herfahren sollen. Es ist eine staubige Piste, auf der reger Verkehr herrscht. Deshalb können wir die Fenster nicht öffnen. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 90 %, das Thermometer klettert über die 40 Grad-Marke, der Schweiß läuft uns runter, die Kleidung klebt am Körper und wenn ein Fahrzeug entgegenkommt wirbelt es so viel Staub auf, dass unsere Fahrt mehr einem “Blindflug” gleicht. Aber wir kommen voran und das ist im Moment die Hauptsache. Nach knapp eineinhalb Stunden treffen wir wieder auf die Teerstraße, fahren im nächsten Ort auf die Tankstelle und stellen uns erst mal unter die Dusche.
Am kommenden Tag ist es dann noch eine Stunde Fahrt bis zur argentinisch-bolivianischen Grenze.