Es ist so wenig los am Grenzübergang, dass wir den Zöllner fragen, ob es daran liegt, dass Sonntag ist. Nein, meint er, das sei eigentlich immer so. Hier wäre es richtig langweilig für ihn. Uns kann es natürlich nur recht sein, denn so geht alles ganz schnell.
Für uns ist es bereits das zweite Mal, dass wir durch Guatemala reisen. Das erste Mal waren wir 1997 hier. Und so sind wir natürlich gespannt, ob und was sich in der Zwischenzeit alles verändert hat.
Was uns als erstes auffällt, ist der gute Straßenzustand. Daran wurde und wird gebaut, eine wirklich prima und vor allem notwendige Sache. Dagegen ist die Durchquerung von Guatemala-Ciudad immer noch chaotisch. Es gibt keinerlei Schilder, in welche Richtung wir fahren müssen und mehr durch Zufall finden wir die Ausfallstraße nach Antigua. Erst am Stadtrand, als sowieso schon klar ist, wohin es geht, gibt es dann eine Richtungsangabe.
In Antigua waren wir damals vor acht Jahren nicht und deshalb legen wir hier einen kurzen Stopp ein. Die Kolonialstadt, 1542 gegründet, war einmal die Hauptstadt des Landes. Hauptattraktion waren ihre zahlreichen Klöster und Kirchen. Von ihnen sind jedoch nach mehreren Erdbeben hauptsächlich nur mehr Ruinen übrig geblieben. Gut erhalten und restauriert ist das Wahrzeichen der Stadt, der Bogen des ehemaligen Klosters Santa Catalina.
Auffällig an der Stadt sind ihre relativ breiten Straßen im Vergleich zu anderen Kolonialstädten. Hier, und natürlich vor allem auf dem Markt und dem Souvenirmarkt, sehen wir dann bereits die ersten Frauen in ihren bunten Hochland-Trachten.
Auf der einen Seite sind sie noch überaus traditionell gekleidet, auf der anderen Seite klingelt aber bei ihnen auch schon das Mobiltelefon. Und geschäftstüchtig wie eh und je sind sie immer noch zähe Verhandlungspartner, wenn wir etwas bei ihnen kaufen.
Am nächsten Tag fahren wir an den Atitlán-See und dort gibt es in Panajachel immer noch den schön gelegenen Stellplatz bei einem Hotel, direkt am See.
Panajachel hat sich kaum verändert. Natürlich gibt es jetzt Internet-Cafes, doch die Av. Santander ist immer noch gesäumt von unzähligen Souvenirständen. Es wimmelt von Bars, Cafes und Restaurants, in denen man von vegetarisch über asiatisch bis hin zu Spaghetti und Hamburgern alles bekommt.
Panajachel selbst weist keine Sehenswürdigkeiten auf. Doch der Ort ist ein guter Stützpunkt für Ausflüge in die nähere Umgebung, die wir mit dem Bus machen. Das ist wesentlich einfacher, als mit dem Unimog die engen und kurvenreichen Nebenstrecken abzufahren. Außerdem ist Busfahren ein unbedingtes Muss, denn der Bus ist das Transportmittel Nr. 1 in dem kleinen Land. Es handelt sich um ausgemusterte amerikanische Schulbusse, die überall unterwegs sind. Die Sitze sind auf Kindergröße ausgelegt und da die Guatemalteken relativ klein sind, ist es kein Problem für sie, zu dritt auf den Bänken Platz zu nehmen. Für uns dagegen reicht die Bank gerade mal zu zweit. Und da müssen wir oft schon unsere Beine irgendwie zwischen Sitz und Vordersitz zusammenfalten. Aber zwei Personen auf einer Bank ist einfach undenkbar und so schiebt sich garantiert noch eine dritte Person dazu, besonders wenn an den Markttagen die Busse ziemlich voll werden. Vielleicht noch ein Kind auf dem Rücken, eins an der Hand und Gepäck auf dem Schoß. Berührungsängste kennt man hier nicht, enger Körperkontakt gehört einfach dazu. Das kann auch praktisch sein, wenn wir selbst mal diesen Platz am Gang erwischen und nur so halb auf der Bank sitzen. Das passiert demjenigen auf der anderen Gangseite ebenso und durch die Enge trifft man sich Schulter an Schulter in der Mitte und stützt sich gegenseitig ab. Dieser Anblick amüsiert uns immer wieder, denn dabei sieht es so aus, als ob es im Bus überhaupt keinen Mittelgang gäbe, sondern alle auf einer durchgehenden Bank sitzen würden.
Über den Zustand der Busse darf man sich keine Gedanken machen. Manchmal ist es besser, wenn man nicht allzu genau hinsieht. Aber es lässt sich nicht immer vermeiden, dass wir so manches mitkriegen. Wenn der “ayudante” (der Helfer, der abkassiert und das Gepäck verstaut) beim bergab fahren den Ganghebel festhalten muss, damit er nicht herausspringt oder zwischendurch nachschaut, ob die Bremsen schon heiß gefahren sind (was der durchdringende Geruch vermuten lässt), dann vertrauen wir darauf, dass man eigentlich nur selten etwas über Busunglücke hört. Außerdem zieren jeden Bus diverse Bibelsprüche, Amulette und Glücksbringer – wenn das nicht hilft, was sonst?
Wirklich sehenswert sind im Hochland natürlich die berühmten Wochenmärkte. Wir schauen uns sowohl den Markt in Chichicastenango als auch den in Sololá an. Der in Chichi ist unübersehbar auf die zahlreichen Touristen ausgerichtet und in den kleinen Gassen direkt an der Kirche überwiegen die Souvenirstände. Man kommt aber nicht nur wegen des Marktes, sondern vor allem um sich die Opferzeremonien vor und in der Kirche Santo Tomás anzusehen. Auf den Treppen zur Kirche wird Harz verbrannt, Weihrauch geschwenkt, werden Blüten verstreut. In der Kirche zünden die Einheimischen unzählige Kerzen an und beten zu den Heiligen und ihren alten Göttern. Am Sonntag haben wir auch noch das Glück, dass eine Prozession stattfindet, bei der die Heiligenfiguren einmal durch die Marktstände getragen werden. Eine Zeremonie, die einmal monatlich gemacht wird und zu der vor allem laute Böllerschüsse gehören, die ständig abgefeuert werden.
In Sololá dagegen ist der Markt viel mehr für den Ein- und Verkauf der Einheimischen da. Ein Durchkommen zwischen den Marktständen ist kaum möglich. Alles ist eng aneinandergebaut. Die Planen gegen den Schutz von Sonne und Regen hängen tief und sind auf die einheimische Körpergröße abgestimmt. Für uns heißt das, sich mit eingezogenem Kopf darunter durchzuzwängen. Es herrscht ein unvorstellbares Gedränge in den buntesten Farben, denn hier tragen noch besonders viele Hochlandbewohner ihre traditionellen Trachten.
In der ersten Woche hier haben wir richtig Glück mit dem Wetter. Denn obwohl Regenzeit ist, beschränkt sich der Regen auf ein paar Stunden am Tag oder in der Nacht. Doch in der zweiten Woche zieht es vollkommen zu. Die Wolken hängen so tief, dass wir die Vulkane ringsum nicht mehr sehen und es regnet mehrere Tage hintereinander ohne Unterbrechung durch. Immer wieder kommt es im Ort zu Stromausfällen und die Gassen stehen unter Wasser. Es gibt Erdrutsche und die Verbindungsstraßen zwischen den Ortschaften sind teilweise blockiert. Die Wettervorhersage ist für das ganze Land schlecht.
Vermutlich werden wir noch einige Tage bleiben, weil wir noch etwas filmen möchten. Die Zeit nutzen wir, um die Webseite zu ergänzen und die weitere Reise zu planen.
Dass der tagelange Regen eine Auswirkung des Hurrikan “Stan” ist, erfahren wir im Radio. Das Ausmaß dagegen sehen wir selbst. Während bei dem Hotel, bei dem wir sind, nichts zu sehen ist, wird der Ort Panajachel voll erwischt. Der Fluss bringt eine Schlammlawine mit, die drei Brücken wegreißt und unzählige Häuser wegspült. Die Menschen haben insoweit Glück, als das Ganze tagsüber passiert und sie sich so retten können. Erst Tage später erfahren wir, dass Orte auf der anderen Seite des Sees nicht so viel Glück hatten. Durch eine Schlammlawine wurden zwei Dörfer komplett zerstört, es sollen bis zu 1500 Einwohner dabei gestorben sein. Hier einige Fotos aus Panajachel:
Die Zufahrtsstraße zur Bootsanlegestelle ist weggespült, samt einiger Kioske.
Der Fluss in Panajachel hat Häuser und Brücken zerstört.
Eine Zufahrtsstraße in Richtung Fluss.
Tagelang sind Arbeiter damit beschäftigt, die Straßen zu säubern.
Hunderte von Einwohnern werden in Notunterkünften wie Schulen und Kirchen untergebracht. Die Trinkwasserversorgung wird knapp und die Menschen müssen sich stundenlang dafür anstellen.
Das Seeufer ist überschwemmt von Müll und Treibholz. Die Bewohner sammeln das Holz, um es als Feuerholz zu verwenden. Weil keine Gas-Lieferanten in den Ort kommen, wird das Gas knapp und so können die Leute nur mehr mit Holz heizen und kochen.
Nach der Überschwemmung stehen einige Häuser leer und es kommt zu Plünderungen. Daraufhin werden Soldaten in den Ort geschickt, die zusammen mit der Polizei Tag und Nacht patrouillieren.
Die Zufahrtsstraße nach Sololá ist durch mehrere Erdrutsche blockiert.
Als es nach einigen Tagen dann endlich aufhört, 24 Stunden durchzuregnen, beginnt auch die Straßenbaubehörde damit, die Straße teilweise frei zu räumen.
Von Panajachel aus gibt es zwei Zufahrtsstraßen. Die östliche, so wird uns von mehreren Stellen bestätigt, ist komplett zerstört, sie existiert nicht mehr und wird in nächster Zeit wohl auch nicht gebaut werden.
Die Hauptzufahrt in den Ort ist die Pass-Straße von Sololá. Wir erkundigen uns über deren Zustand beim Polizeichef, beim Militär, der Straßenbaubehörde und der Touristeninformation. Doch alle Angaben sind widersprüchlich. Deswegen entscheiden wir, einen Teil zu Fuß abzugehen und uns selbst ein Bild davon zu machen. Das Hauptproblem auf der Strecke sollte eine der beiden Brücken sein, die etwas beschädigt war. An dieser besagten Brücke angekommen, sehen wir, dass ein Teil der Unterkonstruktion abgebrochen ist, aber nach unserem Einschätzen das Gewicht des Unimogs trotzdem aushalten würde. Zumal am Vortag ein großer Bagger mit dem vermutlich selben Gewicht darüber fuhr. Doch das wirkliche Problem ist, dass niemand von den Behörden die Verantwortung zum Befahren der Brücke übernimmt, sie lassen immer nur kleinere Fahrzeuge darüber fahren.
Wir beschließen, nachdem wir das Ganze gesehen haben, sofort Panajachel zu verlassen. Bei der ersten Polizeisperre lassen wir uns nicht aufhalten und fahren vorbei. Doch 4 Kilometer weiter oben an der Brücke sind sie gerade dabei, die Straße mit Holzstämmen und quer gestelltem Auto abzuriegeln. Nachdem Klaus unmissverständlich erklärt, dass wir auch diese Sperre ignorieren werden, sicherten auch noch bewaffnete Soldaten die Sperre ab. Mit dem obersten Beamten der dortigen Polizei ging eine heftige Diskussion los. Wir erklären, dass 400 Touristen mit dem Hubschrauber ausgeflogen worden seien und wir dagegen seit Tagen vertröstet werden. Der Polizist meint nur, dass er Befehl habe, niemanden über die Brücke zu lassen. Wir sollten wieder umdrehen und in Panajachel eine Genehmigung des Gouverneurs holen. Klaus macht ihm alle möglichen berechtigten Vorhaltungen und will, dass der Polizist selbst sofort beim Gouverneur telefonisch nachfragt. Als Antwort bekommt er ein “Es tut mir leid, ich habe kein Geld und kann mir kein Celular leisten.” Daraufhin greift Klaus nach dem Funkgerät vom Polizeifahrzeug und spätestens jetzt wissen sie, dass es uns ernst damit ist, dass wir nicht wieder umdrehen. Der Polizist besorgt sich von einem umstehenden Passanten ein Mobiltelefon und nach mehreren Telefonaten erhalten wir die Antwort, dass er die Genehmigung habe, uns über die Brücke fahren zu lassen. Wer auch immer dies gesagt hat und ob die Aussage der Wirklichkeit entspricht oder nur vorgeschoben wird, ist uns egal. Wir sind froh, dass wir weiter können. Wer weiß, wie lange wir sonst noch in Panajachel stehen würden.
Die direkte Verbindung zur mexikanischen Grenze ist auf der Panamericana unterbrochen. Auch darüber haben wir vorab einander widersprechende Informationen bekommen. Wir fahren soweit, bis wir sehen, dass tatsächlich ein Stück der Straße sowie eine Brücke fehlen. Doch es gibt die Möglichkeit, diesen Abschnitt weiträumig über kleine Dörfer und durch die Berge zu umfahren. Das machen wir auch und nach zwei Tagen erreichen wir die derzeit einzig offene Grenze nach Mexiko in La Mesilla. Der Übergang weiter im Süden ist gesperrt, hier fehlt ebenfalls eine Brücke.