Die Männer beim pakistanischen Zoll und bei der Passbehörde sind diejenigen, die uns bereits im Dezember abgefertigt haben. Wieder versucht der Mann von der Passbehörde uns zum Geldtauschen zu überreden. Doch wir haben mit den letzten indischen Rupies noch getankt und alles ausgegeben. Beim Zoll sagen sie uns, dass sie sich noch an uns erinnern würden. Alles wird zügig erledigt und geht problemlos vonstatten. Anschließend machen wir Mittagspause in einer Raststätte, nur wenige Meter vom Zollhof entfernt. Gegenüber ist ein Händler, der gebrauchte Bücher und Reiseführer zum Tauschen und Kaufen anbietet. Bei ihm suchen wir noch nach einem Reiseführer für den Karakorum-Highway, finden aber leider nichts. Dafür wechselt er uns zu einem guten Schwarzmarktkurs einige Dollars.
Eine knappe Stunde später fahren wir durch Lahore und fragen uns zum YWCA (= Christlicher Verein junger Frauen) durch. Dort, so haben wir von anderen gehört, könne man übernachten. Wir finden die Adresse auch, doch es handelt sich dabei vor allem um eine Schule, nicht um eine Art Hotel, wie wir erwartet haben. Es ist Gründonnerstag und weil es eine christliche Schule ist, bleibt sie über die kommenden Osterfeiertage geschlossen. Die Leiterin erklärt uns, dass wir trotzdem dort parken und im Fahrzeug übernachten können, es ist ein Hausmeister da, der uns rein- und rauslässt.
Wieder einmal brauchen wir eine Autoversicherung und das wollen wir noch vor Büroschluss am Nachmittag erledigen. Deshalb fahren wir sofort mit der Motorrikscha in die Innenstadt. Die Anschlagtafel der Versicherung ist bereits von weitem zu erkennen, sie steht genau unter dem überdimensionalem M, das Werbung für McDonald’s macht. Wir haben die alte Police mitgebracht und mit diesen Daten geht die Ausstellung einer neuen schnell vonstatten. Bevor wir anschließend zu einem Stadtbummel starten, wollen wir uns stärken und testen deshalb bei McDonald’s, wie Big Mäc, Pommes und Eis in Pakistan schmecken. Es ist kein Unterschied festzustellen. Weder beim Essen, noch bei der Ausstattung. Junge Männer und Frauen mit Baseballmützen auf dem Kopf erfüllen freundlich die Wünsche der Kunden. Selbst die Einrichtung und die Musik sind so ausgelegt, dass wir in irgendeinem x-beliebigen Land sein könnten, wenn an den Tischen nicht junge Mädchen in traditioneller pakistanischer Kleidung sitzen würden. Dass sie auf jeden Fall zur Oberschicht ihres Landes gehören, zeigt allein schon die Tatsache, dass bei etlichen von ihnen das Handy auf dem Tisch liegt.
Es ist nicht weit zum Anarkali-Bazar, einer Geschäftsstraße mit unzähligen Läden zu beiden Seiten. Besonders die Geschäfte mit den Stoffen haben es Sonja angetan. In den Schaufenstern sind traumhafte Stoffe mit herrlichen Stickereien und Pailletten-Verzierungen ausgestellt.
Die Straße endet an der breiten Ringstraße, die außen um die ummauerte Altstadt herumführt. Wir gehen ein Stück weit hinein in den ältesten Stadtteil Lahores. Hier herrscht aufgrund der schmalen Gassen und hohen Häuser ein ständiges Halbdunkel. Die Auspuffgase der Motorräder bleiben zwischen den Wänden hängen und erschweren das Atmen. Für uns ist es völlig unvorstellbar, wie die Menschen hier auf engstem Raum leben können. Manche der Gassen sind so winzig und schmal, dass gerade mal zwei Fußgänger darin nebeneinander Platz haben. Die Leute aus einander gegenüberliegenden Häusern können sich fast die Hände schütteln. Eine Privatsphäre scheint es hier kaum mehr zu geben. Uns ist es hier zu düster und wir kehren bald wieder um. Danach erscheint uns sogar die Luft auf der lebhaften und verkehrsreichen Ringstraße wesentlich besser.
Nachts hat es ein Gewitter und regnet. Die Temperatur hat sich etwas abgekühlt, worüber wir sehr froh sind, weil es sich dann in der Stadt besser aushalten lässt. Wir fahren am frühen Morgen zur Badshahi-Moschee. Sie wurde 1673/74 von Kaiser Aurangzeb gebaut – dem selben Mann, der seinen Vater Shah Jahan vom Thron gestürzt und in Agra in das Fort eingesperrt hat. Die Moschee besteht aus rotem Sandstein und hat helle Marmorkuppeln.
Ihre Wände sind mit weißen Blütenmotiven verziert, was einen sehr schönen Kontrast abgibt. Ihr Innenhof soll angeblich 60 000 Gläubigen Platz bieten. Wir geben unsere Schuhe ab, Sonja setzt sich ein Kopftuch auf und wir durchqueren den riesigen Innenhof, um die Hauptgebetshalle zu besichtigen. Männer fangen gerade an, Gebetsteppiche für das Freitagsgebet auszulegen. Außer uns sind keine ausländischen Touristen unterwegs, nur Einheimische, die sich gegenseitig vor der Moschee fotografieren. Auch wir werden mehrmals gefragt, ob jemand ein Foto von uns machen darf.
Wir wollen eigentlich gerade unseren Rundgang am Eingangsgebäude beenden, als wir sehen, wie mehrere Einheimische vor einer kleinen Tür anstehen. Für uns sieht es so aus, als ob das der Zugang zu einem der Türme ist und ein Blick von dort oben wäre nicht schlecht. Klaus will sich erkundigen, ob wir auch hinaufdürfen und sofort werden wir an allen anderen vorbei gewunken. Es geht über eine schmale Treppe hinauf in einen kleinen Raum. Hier befinden sich mehrere Glaskästen, vor denen sich Menschen drängen. Als wir endlich auch einmal einen Blick darauf werfen können, sehen wir verschiedene Reliquien, einen Mantel, Schuhe, usw. Sie sind auch in englisch beschriftet und es soll sich dabei um Originalgegenstände des Propheten Mohammed handeln. Es gibt noch weitere Räume mit Glaskästen und überall drängen sich die Gläubigen, für die diese Sachen natürlich einen ungeheuren Wert haben. Wir bedanken uns für diese unverhoffte Gelegenheit zur Besichtigung mit einer Spende am Ausgang.
Gleich gegenüber, nur durch eine Gartenanlage getrennt, ist das Fort von Lahore. Es gilt als eine überaus bedeutende Anlage aus der Zeit der Mogulkaiser und wurde von mehreren Herrschern immer wieder erweitert. Es gibt die verschiedensten Gebäude auf dem weitläufigen Gelände. Am besten gefällt uns der so genannte Spiegelpalast, den man jedoch nicht betreten darf. Doch auch so sind die mit Spiegelteilen übersäten Verzierungen der Wände zu sehen. Bei einem kleinen Pavillon finden wir ähnliche Einlegearbeiten und aus Marmor gemeißelte Fenster wie beim Taj Mahal in Agra.
Nach der Besichtigung setzen wir uns noch in die Gartenanlage um etwas zu trinken. Dabei werden wir von einem einheimischen Mann angesprochen und in Pakistan willkommen geheißen. Er will wissen, ob wir bereits das Mausoleum des Dichters Muhammad Iqbal besichtigt hätten, was wir verneinen. Der Mann will es uns unbedingt zeigen und wir lassen uns überreden. Muhammad Iqbal hat 1930 erstmals davon gesprochen, einen eigenen islamischen Staat auf dem indischen Subkontinent zu gründen und er gilt deshalb als geistiger Vater der Republik. Das Grab befindet sich in einem schlichten Gebäude, links vom Eingangstor zur Badshahi-Moschee. Ein weiteres Mausoleum für einen ebenfalls bedeutenden Dichter befindet sich am Rande der Altstadt.
Es ist der Schrein des Data Ganj Baksh. Uns war der Schrein im Vorbeifahren nicht aufgefallen. Die daneben stehende Moschee dafür um so mehr aufgrund der weißen, schlanken Minarette, deren spitze Enden mit Gold verziert sind und für uns aussehen wie Raketen. Auffallend viele Frauen belagern den Schrein und den Grund dafür erfahren wir später zufällig aus einem Zeitungsartikel. Für sie ist das Grab ein Wallfahrtsort und sie erhoffen sich von der Pilgerreise Kindersegen – wobei der Nachwuchs natürlich möglichst nur männlich sein sollte. Mit dieser Besichtigung ist unser Bildungshunger gestillt, mehr wollen wir uns nicht mehr ansehen in Lahore. Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Islamabad.
Wir campen wieder auf dem Rose und Jasmine Campingplatz. Auch dieses Mal treffen wir auf etliche Motorradreisende.
Für uns gibt es verschiedenes zu erledigen in der Stadt. Das wichtigste für Sonja ist ein Arztbesuch. Nachdem es ihr ein paar Tage besser ging, hat sie wieder Durchfall bekommen. Wir haben die Adresse einer deutschen Ärztin und fahren zu ihr hin. Sie ist über Ostern in Deutschland, doch es gibt eine Vertretung und im Labor kann Sonja eine Stuhlprobe untersuchen lassen. Das Ergebnis lautet: Amöben und Giardia. Das klingt zwar im ersten Moment sehr schlecht, aber der Arzt erklärt uns, es wäre mit Tabletten leicht auszukurieren. Aufgrund des Ping-Pong-Effekts, der bei engem Kontakt entsteht, wird Klaus gleich mitbehandelt und bekommt vorsorglich ebenfalls Tabletten verordnet. Sonja geht es im Laufe der folgenden Tage dann auch bald besser und sie behält das Essen bei sich.
Mit einem bei der deutschen Botschaft besorgten Empfehlungsschreiben beantragen wir ein Iran-Visum. Die Ausstellung wird mindestens sieben Tage dauern, erklärt uns der Botschafts-Angestellte. Das ist nicht weiter schlimm, denn wir wollen in der Zwischenzeit sowieso auf den Karakorum-Highway fahren. Die Motorradfahrer haben das gleiche Ziel und so werden wir sie wahrscheinlich noch des öfteren treffen.
Der Karakorum-Highway gilt als Pionierleistung beim Straßenbau im Hochgebirge. Er folgt einem Zweig der alten Seidenstraße und verbindet die Orte Kashgar/China mit Havelian/Pakistan, wobei der Kunjerab-Pass in 4670 m Höhe die Grenze darstellt. Begonnen wurde mit dem Bau 1966 und 12 Jahre später war die 1200 km lange Straße fertig. Sie hat viele Menschenleben gekostet, wobei angeblich von chinesischer Seite die Zahlen zu niedrig angegeben werden. Statistiken besagen, dass auf circa alle 1,5 Kilometer ein toter Bauarbeiter kommt.
Von Islamabad aus sind es etwa 100 km bis nach Havelian, dem südlichen Endpunkt des Karakorum-Highways, doch es gibt kein Schild und keinen Hinweis auf diese Tatsache. Abbottabad, ein paar Kilometer weiter, ist eine der wenigen größeren Städte am Karakorum-Highway. Sie wurde 1850 als britischer Militärstützpunkt gegründet und ist heute Sitz der Pakistanischen Militärakademie. Die Straße führt nicht durch die Ortsmitte, sondern am Ortsrand entlang, wo links und rechts die militärischen Einrichtungen zu sehen sind. Alles ist sauber und aufgeräumt, die Schuljungen tragen Krawatten und über allem liegt immer noch ein englischer Hauch. Es sieht aus, als ob die Zeit im 19. Jahrhundert stehen geblieben ist.
Abbottabad liegt bereits auf 1200 m und wir sehen schon die ersten weißen Gipfel. Die Straße führt weiter hinauf bis auf 1600 m und wir freuen uns schon, weil es frischer wird. Die Umgebung wird landwirtschaftlich genutzt und alles ist grün und üppig. Neben der Straße wachen die Cannabis-Pflanzen wie bei uns daheim die Brennesseln. Wir beobachten zwei Kühe, die am Straßenrand grasen. Die Tiere haben anscheinend mehr Verstand als manche Menschen und lassen die Pflanzen links liegen. Unsere Freude über die Höhenlage dauert nicht lange an, denn bald danach geht es wieder abwärts. In Thakot überqueren wir zum ersten Mal den Indus, der uns von nun an 340 km lang begleiten wird.
Das Motel in Besham, wo wir übernachten, liegt direkt am
Fluss. Wir befinden uns nur mehr auf lediglich 600 m und es ist reichlich warm.
Hier treffen wir zum ersten Mal auf Motorradfahrer aus Islamabad, mit denen wir
abends noch zusammensitzen.
Fast durch ganz Besham zieht sich eine Baustelle. Obwohl alles dreckig und
staubig wird, legen die Ladenbesitzer ihre Waren aus. Unseren geplanten
Obsteinkauf verschieben wir jedoch. Die Straße folgt weiterhin kurvenreich dem
Indus und wir sehen immer öfter schneebedeckte Berge. Vor Jial machen wir einen
Fotostopp. Aus den Bergen kommt der klare Dubair-Fluß und mündet in den
schmutzig-braunen Indus. Es sieht aus, als ob sich eine grüne Flüssigkeit ihren
Weg durch eine dicke Suppe bahnt.
Während wir noch beim Filmen sind, kommen zwei Jungen vom Dorf herauf und ziehen eine Art flachen Holzschlitten hinter sich her. Aus einfachen Brettern haben sie ihn sich zusammengenagelt. Die Räder sind nur ein paar schmale Blechringe, aus Draht haben sie ein Lenkrad gebogen und als Bremse dient ihnen eine ausgelatschte Sandale, die sie mit dem Fuß auf die Straße pressen. Wir lassen uns vorführen, wie das Gefährt funktioniert und die Jungs fahren ein paar Mal den Berg hinunter. Klaus will es auch ausprobieren, doch er kriegt nicht gleich den richtigen Dreh heraus. Die Jungen müssen ihn erst ein Stück bergab schieben, damit er in Fahrt kommt.
Allmählich werden die Berge immer kahler, nur die Orte und die Terrassenfelder drumherum sind grün. Ansonsten herrscht die Farbe Braun in allen Tönen vor. Das Tal weitet sich etwas und bei Hodur sehen wir zum ersten Mal den Nanga Parbat. Zum Übernachten können wir, wie schon am Tag zuvor, im Garten eines Hotels in Chilas parken.
Am nächsten Tag fahren wir zurück zum Polizeiposten am Ortsanfang und parken dort den Unimog. Dann gehen wir zu Fuß etwa einen Kilometer zum Fluss hinunter, wo wir uns die dortigen Felsbilder anschauen wollen. Beim Bau des Karakorum-Highways wurden an verschiedenen Stellen Petroglyphen entdeckt. Fast direkt am Fluss haben im 5. – 7. Jahrhundert die damaligen Bewohner auf mehrere Felsen Darstellungen von Tieren, Menschen und Symbolen hineingeritzt.
Fast zwei Stunden lang klettern wir herum, dann fahren wir weiter. Unterwegs überholen wir immer wieder mal einen der bunten, phantasievoll geschmückten einheimischen Lkw’s. Die Fahrzeuge sind recht langsam, obwohl die Straße nie steil ansteigt, sondern nur sehr langsam an Höhe gewinnt. Doch allein die Aufbauten auf den Lkw’s sind schon schwer und zusätzlich wird dann soviel Fracht aufgeladen, dass die Fahrzeuge nur mehr dahin kriechen.
Bei Talechi sehen wir noch einmal den Nanga Parbat, dieses Mal von einer anderen Seite und im vollen Sonnenlicht. Um seinen Gipfel ziehen dünne Schleierwolken, die erkennen lassen, dass dort oben, in 8125 m Höhe, heftige Winde wehen. Nach dem nächsten Ort, Jaglot, ist der Zusammenfluss von Indus und dem Gilgit-Fluss. Die Straße folgt nun weiter dem Gilgit-Fluss bis zum gleichnamigen Ort. Gilgit liegt ein paar Kilometer abseits der Straße, auf 1450 m Höhe. Wir kommen am frühen Nachmittag an und machen gleich noch einen Stadtbummel. Die Stadt ist ein wichtiger Handelsplatz und in den Läden sehen wir viele chinesische Waren. Was wir dagegen nicht sehen, sind Frauen. Schon bei der Fahrt durch die bisherigen Orte hatten wir den Eindruck, als ob die Bevölkerung nur aus Männern und Kindern bestehen würde. Die einzigen weiblichen Wesen sind jüngere Mädchen. Wir schätzen, dass keine über 10 Jahre alt sein dürfte. Auch sie tragen bereits ein großes Tuch, mit dem sie sich verhüllen. Gilgit bietet alles an Einkaufsmöglichkeiten und es gibt sogar schon Internet-Cafes. Wir stocken unsere Vorräte auf und fahren am nächsten Tag weiter. Der Karakorum-Highway wird wieder von einem neuen Fluss begleitet, dieses Mal vom Hunza-Fluß.
Eine auffällige Veränderung findet bei der Bevölkerung statt. Gleich im nächsten Ort nach Gilgit sehen wir Frauen, entweder auf der Straße oder bei der Feldarbeit. Gilgit ist wie eine Grenze, denn ab jetzt gehören Frauen zum normalen Anblick. Wir sind ziemlich überrascht davon, doch es ist sehr erfreulich. Auch werden die Leute immer freundlicher, je weiter nordwärts wir kommen. Überraschend sind die helle Hautfarbe und die oft hellbraunen Haare. Die Menschen hier unterscheiden sich sehr stark von den anderen Einwohnern Pakistans. Das Wetter lässt uns etwas im Stich, es ist diesig und oft hängen dicke Wolken in den Bergen, die uns die Sicht versperren. So zum Beispiel auf den 7790 m hohen Rakaposhi, von dem wir nur noch die Gletscherzunge sehen. Hinter Ganesh stoßen wir noch einmal auf Inschriften und Felszeichnungen. Direkt neben der Straße sind die Felsen voll davon. Gelegentlich weisen Schilder auf die besonders von Erdrutsch gefährdeten Straßenabschnitte hin. Nicht weit davon sind die Zelte der Arbeiter aufgestellt, die anscheinend ständig darin wohnen, damit bei einer Steinlawine Leute zur Hand sind, um die die Straße möglichst schnell freizuräumen.
Die Straße steigt jetzt mehr und mehr an und wir gewinnen endlich an Höhe. Am Nachmittag erreichen wir Sost, die letzte Siedlung auf pakistanischer Seite. Hier findet die Pass- und Zollkontrolle statt, wenn man die Grenze überschreiten will. Der Ort ist, besonders an einem wolken verhangenen Nachmittag, völlig trostlos und verlassen. Überall stehen Lkws herum, die entweder auf die Abfertigung warten oder deren Waren abgeladen und in einem der kleinen Gebäude gelagert werden. Wir sind auf 3000 m Höhe angekommen und es ist kalt geworden. Bei einer Tasse Kaffee wärmen wir uns erst einmal auf. Während wir dabei die Männer beobachten, die auf der Straße müßig auf- und abgehen, bemerken wir, dass sich die Fenster in der Wohnkabine etwas aufgebläht haben. Schnell entfernen wir auf der Innenseite die kleinen Plastikpfropfen und die Luft zwischen den beiden Scheiben entweicht mit einem hörbaren Zischen.
Wir machen einen Spaziergang auf der einzigen Straße, doch es gibt absolut nichts interessantes zu sehen. Weil wir kein Lokal finden, in dem es etwas zu essen gibt, kaufen wir uns ein Brot und beschließen, am Abend selbst zu kochen. Gerade als wir anfangen wollen, kommen die fünf Motorradfahrer aus Islamabad vorbei. Sie waren an der Grenze oben und sind jetzt völlig durchgefroren, weil es eisig kalt war und geschneit hat. Gemeinsam gehen wir mit ihnen im Hotel Tee trinken, damit sie sich etwas aufwärmen können. Sie übernachten nicht in Sost, sondern fahren anschließend weiter hinunter.
Als wir am nächsten Morgen um sechs Uhr aufstehen, haben sich die Wolken größtenteils verzogen und das Außenthermometer zeigt fünf Grad an. Am Ortsende von Sost ist der erste Kontrollposten, später folgt noch einer. Jedes Mal müssen wir uns in ein Buch eintragen. In Dee beginnt der Kunjerab-Nationalpark, für den wir pro Person 4,– US Dollar Eintritt bezahlen. Inzwischen ist die Sonne da und bescheint die schneebedeckten Berge. Wir fahren durch eine enge Schlucht, durch die der Kunjerab-Fluss fließt. Von zwei Erdrutschen sehen wir noch die Reste, die Straße ist jedoch schon soweit frei geräumt, dass wir ohne Probleme durchfahren können.
Im Schatten liegt noch Schnee und über dem Fluss hat sich eine dünne Eisschicht gebildet. Außer uns ist kein Fahrzeug unterwegs. Sieben Kilometer vor dem Pass windet sich die Straße in Haarnadelkurven aufwärts. Wir sehen mindestens ein Dutzend Murmeltiere, die vor ihren Löchern sitzen und sich sonnen. Am Ende der Kurven erreichen wir eine Art Hochplateau und dann markieren zwei Obelisken die pakistanisch-chinesische Grenze. Wir haben ein herrliches Panorama vor uns mit Blick auf die weißen Gipfel der Berge ringsum. Trotz Sonnenschein haben wir nur 3°C und der heftige Wind lässt die Temperatur noch kälter erscheinen. Es gibt kein Schild über die Höhenangabe und so machen wir die obligatorischen Fotos ohne dazugehöriges Beweismittel.
Zum Teetrinken fahren wir wieder da hinunter, wo wir den Murmeltieren zuschauen können. Ein chinesischer Lkw fährt vorbei während wir parken. Er ist das zweite und zugleich letzte Fahrzeug, das wir innerhalb der 9 Stunden sehen, die wir für Hin- und Rückfahrt (einfache Strecke = 80 km) auf den Pass gebraucht haben.
Zum Übernachten fahren wir nach Passu, wo wir ein paar der Motorradfahrer wieder treffen. Mit ihnen verbringen wir auch noch den nächsten Vormittag. Keiner hat es besonders eilig, wir sitzen gemütlich in der Sonne und haben uns viel zu erzählen. Erst mittags fahren wir los und sind nach zwei Stunden in Karimabad. Das ist der Hauptort im Hunza-Tal. Hunza ist als das “Tal der Hundertjährigen” bekannt geworden. Dem Wasser und der Ernährung wird es zugeschrieben, dass viele Leute hier ein sehr hohes Alter erreichen. Eine besonders große Rolle spielen die Aprikosen, die momentan noch grün an den Bäumen hängen. Sie werden zur Erntezeit auf den flachen Hausdächern in der Sonne getrocknet und sind im Winter eine wichtige Vitaminquelle.
Wir kaufen uns einen Beutel voll davon. Außerdem ein paar Gläser der ausgezeichneten Aprikosenmarmelade, ganz milden, süßen Honig und einen Tee aus einheimischen Gebirgskräutern. Zum Abendessen gibt es eine andere Hunza-Spezialität. Ein dickes, rundes Vollkornbrot, in das Kartoffeln eingebacken sind und eine andere Variante, bei der Käse im Teig mitgebacken wird.
Während des Frühstücks am nächsten Tag sehen wir endlich den 7790 m hohen Rakaposhi. Heute strahlt er uns wolkenlos entgegen und hebt sich wuchtig vom blauen Himmel ab. Auch auf der Rückfahrt begeistert uns das kahle Felsengebirge immer wieder, das sich steil links und rechts von uns erhebt. Die kleinen Ortschaften, die an den Berghängen liegen, sind von Obstplantagen und Feldern umgeben und sehen aus wie grüne Inseln. Was für uns so malerisch wirkt, ist für die Menschen, die diese karge Landschaft bewirtschaften müssen, mühselige Arbeit. Jedes noch so geringe fruchtbare Stück Land wird sorgfältig bewässert und bearbeitet. Der Bau des Karakorum-Highways hat die Versorgung der oftmals völlig abgelegenen Orte wesentlich erleichtert. Schließlich besteht dadurch das ganze Jahr über eine Verbindung zur Außenwelt.
Bereits auf dem Hinweg waren uns zwischen Batagram und Thakot einige Mini-Seilbahnen aufgefallen, mit denen man die Schlucht überqueren kann, um auf die andere Seite des Nandihar-Flusses zu kommen. Von weitem sieht es so aus, als ob die Gondel einfach so durch die Luft schweben würde. Erst beim Näher kommen bemerkt man dann die Seile, an denen sie hängt. Die Fahrt mit einer solchen Gondel haben wir uns für den Rückweg aufgespart und als wir die erste sehen, halten wir sofort an. In einem kleinen Häuschen sitzt der Betreiber der Bahn neben einem 5-Zylinder Lkw-Diesel-Motor. Vor ihm sind Kupplung, Bremse und Gaspedal angebracht. Vier Personen können insgesamt in der winzigen Kabine mitfahren.
Wir steigen ein und sausen los. Es geht zuerst etwas bergab und die Gondel kommt aufgrund des Eigengewichts in Schwung. Dann erreicht sie den Punkt, wo sie nicht mehr weiterfährt. Jetzt startet der Mann den Motor und bringt die Gondel damit bis an den anderen Haltepunkt. Wir vertreten uns kurz die Beine und sehen zwei Mädchen zu, die gerade einen Esel beladen. Dann fahren wir wieder zurück. Wir schätzen die Höhe, in der wir auf den Fluss unter uns schauen können, auf circa 40 – 50 m. Noch mehrmals sehen wir auf der Weiterfahrt einige dieser Seilbahnen. Bald darauf nähern wir uns dem Ende des Karakorum-Highways. Die Berge sind wieder grün, das Hochgebirge liegt hinter uns. Am Abend sind wir bereits wieder in Islamabad, nun schon zum dritten Mal während der Reise.
Damit wird es endlich einmal Zeit, das bedeutendste Bauwerk der Stadt zu besichtigen, die Faisal-Moschee. Sie ist nach ihrem Stifter, dem König Faisal von Saudi-Arabien benannt worden. Er hat den größten Teil der Kosten von 50 Millionen US Dollar für den Bau getragen, der 1976 begonnen und 1988 vollendet wurde. Die vier schlanken Minarette sind über 90 m hoch und gelten als die höchsten auf dem südasiatischen Kontinent. Die Moschee gefällt uns sehr gut in ihrem modernen Stil. Der Innenraum der Gebetshalle ist hell und großzügig. Die üblichen, oft üppigen Verzierungen fehlen, dafür lassen die Fenster viel Licht herein. Die großflächigen Mosaiken sind in Blau- und Türkistönen gehalten, ansonsten ist alles leuchtend weiß.
Wie immer gibt es einiges zu tun, wenn wir in Islamabad sind. Bei der iranischem Botschaft können wir das 30-Tage-Visum abholen, nachdem wir pro Person 3200 pak. Rupies bei der Grindleys Bank eingezahlt haben.
Wir geben im Labor noch einmal eine Stuhlprobe ab, um feststellen zu lassen, ob die Medikamente gewirkt haben. Bei Sonja ist alles in Ordnung. Klaus hat Giardia und bekommt von der Ärztin einen Saft verschrieben, den er in der nächsten Zeit regelmäßig einnehmen muss. Zwei Mal fahren wir mit dem Moped in die Nachbarstadt Rawalpindi. Durch Herumfragen finden wir die Werkstätten, in denen die typischen Lkw-Aufbauten hergestellt werden. Wir verbringen einen Vormittag mit dem Filmen und lassen uns einiges zeigen und erklären.
Klaus erledigt auch noch den Kundendienst am Unimog und am Motorrad. Sonja hat große Wäsche und macht im Aufbau alles sauber. Dabei sind die Temperaturen alles andere als geeignet für körperliche Arbeiten. Das Thermometer klettert jeden Tag auf 41°/42°C im Schatten. Wenn wir mit dem Motorrad fahren bläst uns ein heißer Wind entgegen. Endlich machen die kalten Duschen im Campingplatz einmal Sinn, oft duschen wir zwei Mal am Tag.
Nach einer Woche ist alles erledigt und wir fahren weiter nach Quetta. Wir wollen nicht denselben Weg wie bei der Herfahrt nehmen, sondern fahren dieses Mal über Dera Ismail Khan nach Dera Gazi Kahn, weiter nach Fort Munro und Loralei. Wir sind zweieinhalb Tage unterwegs und nachdem wir Islamabad verlassen, wird die Wüste unser Begleiter. Die erste Zeit entlang des Indus haben wir noch Bäume beiderseits der Straße, erst dahinter ist es sandig.
Ab Dera Gazi Kahn haben wir nur noch kahle, karge Landschaft. Vereinzelt sehen wir ein paar Nomadenzelte, die Ortsnamen auf der Karte entpuppen sich lediglich als ein paar Lehmhäuser. Die Straße ist lediglich ein einspuriges Asphaltband, das wir uns mit den entgegenkommenden Lkw’s teilen. Wenn der Fahrer vernünftig ist, weichen er und wir zur Hälfte auf das unbefestigte Bankett aus. Ansonsten kommt es darauf an, wer die besseren Nerven hat. Mit Hupe und Lichtsignal wird solange aufeinander zugefahren, bis einer aufgibt und komplett ausweicht.
Das Wetter ist weiterhin heiß, die Luft so stark angefüllt mit Sand, dass wir von den Bergen gerade mal die Umrisse erkennen können. Die Temperatur beträgt um 19 Uhr abends immer noch 40 Grad, morgens um 6 Uhr sind es bereits wieder 26 Grad. Der heftige Wind lässt auch nachts nicht nach. Zum Schlafen müssen wir alle Fenster und die große Dachluke öffnen. Das hat zur Folge, dass jeden Morgen der Boden und die Möbel von einer Sandschicht bedeckt sind.
In Quetta ist dann Großreinemachen angesagt. Auch wir vertragen eine gründliche Reinigung, der Sand hat unsere Haare ganz struppig werden lassen. Wir übernachten wieder im Lourdes-Hotel. In Quetta wird es zwar tagsüber auch über 30°C heiß, doch aufgrund der Höhenlage (1500 m) kühlt es nachts ab und wir schlafen wieder besser. Damit verschaffen wir uns eine kurze Verschnaufpause, bevor wir für die nächsten Tage weiter durch die Wüste fahren.
Die Strecke bis zur pakistanisch-iranischen Grenze (630 km) ist an einem Tag zu schaffen, besonders nachdem die Straße zwischenzeitlich ausgebessert worden ist. Wir wollen aber noch einiges filmen und planen deshalb zwei Tage dafür ein. Morgens, wenn es noch einigermaßen frisch ist, geht es ganz gut mit der Filmerei. Doch am Nachmittag kommen wir ganz schön ins Schwitzen. Das Licht ist durchdringend grell, die Sonne brennt auf uns herunter und es gibt nirgends Schatten. Das Thermometer steht auf 50°C, weiter geht die Anzeige nicht. Doch wir wollen unbedingt noch ein paar Einstellungen von der Wüste. Das bedeutet, Stativ und Kamera auspacken, durch glühendheißen Sand stapfen, der in die Sandalen rieselt, alles aufbauen, filmen, einpacken, zurückstapfen. Die Alubeine des Stativs haben sich in der kurzen Zeit so stark aufgeheizt, dass sie fast zu heiß zum Anfassen sind.
Wir fahren ein kurzes Stück, dann beginnt das Ganze von vorne. Auspacken, aufbauen, filmen, einpacken, weiterfahren. Dazwischen trinken wir Unmengen von Wasser, zu essen brauchen wir kaum etwas. Uns läuft der Schweiß überall herunter, der heiße Wind bläst uns ins Gesicht und wirbelt Sand auf, der sich in den Schweißspuren festsetzt. Das schönste am Abend ist deshalb die kalte Dusche. Damit spülen wir den Dreck herunter und beenden den Tag.
Wir übernachten wir in Nokkundi, wie schon bei der Herfahrt. Am nächsten Tag sind wir vormittags an der Grenze. Wir sind die einzigen Touristen und auf pakistanischer Seite ist alles in 40 Minuten erledigt. Beim Zoll füllt man nur das Carnet aus, eine Besichtigung des Fahrzeugs ersparen sich die Beamten. Anscheinend ist auch ihnen die Hitze zuviel.