Sowohl die Ausreise aus Indien als auch die Einreise nach Nepal verläuft ohne Probleme. Wir sind die einzigen Touristen, die Beamten erledigen den Papierkram und tragen unsere Daten wie üblich in die großen dicken Bücher ein. Wegen des fehlerhaft ausgefüllten Carnets wird auf indischer Seite zwar nachgefragt, aber wir können es zur Zufriedenheit erklären. Auf der nepalesischen Seite interessiert sich niemand dafür. Hier helfen wir dem Beamten, die Stempel an der richtigen Stelle anzubringen und ohne Fahrzeugkontrolle können wir bald darauf weiterfahren.
Wir nehmen nicht die übliche Hauptroute, sondern fahren eine Bergstrecke, die in endlosen Serpentinen nach Daman (2300 m ü.M.) hinaufführt. Von hier aus soll man einen der besten Blicke auf den Himalaja haben. Als wir nach einer kühlen Nacht morgens so gegen halb acht losfahren, erwischen wir gerade noch einen kurzen Blick auf schneebedeckte Gipfel. Gleich darauf ist alles von dicken Wolken eingehüllt und bei der Weiterfahrt müssen wir uns mit Ausblicken ins Tal und die sich an den Hängen hinaufziehenden Terrassenfelder begnügen.
Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, liegt auf etwa 1300 m ü.M. in einem weiten Tal und ist ringsum von Bergen umgeben. Ihre Einwohnerzahl liegt offiziell bei 500 000. Aufgrund des ständigen Zustroms von Indern, die von der Zählung nicht erfaßt werden und verarmten Bergbewohnern, die sich hier bessere Lebensbedingungen erhoffen, dürfte sich die Einwohnerzahl aber eher um die Million herum bewegen.
Großstädte zu durchfahren ist immer problematisch und deshalb sind wir froh, als wir merken, dass es in dem Fall nicht notwendig ist. Der Campingplatz liegt nur wenige Meter von der Ringstraße entfernt, die sich außen um Kathmandu herum zieht. Der Platz ist eigentlich der zu einem Wohnhaus gehörende Garten und bei einer Belegung von 7 oder 8 Campingfahrzeugen dürfte niemand mehr die Chance haben, einen Stuhl oder Tisch vor seinem Fahrzeug aufbauen zu können. Dafür ist es ruhig, die Toiletten sind sauber, es gibt eine heiße Dusche und das Tor ist ständig geschlossen, so dass Unbefugte keinen Zugang haben.
Um in die Innenstadt zu kommen, leiht uns der Eigentümer Geld für die Taxifahrt. Wir sind an einem Samstag eingereist und weil das der arbeitsfreie Tag in Nepal ist, hatten wir noch keine Möglichkeit Geld zu tauschen. Wir lassen uns mit dem Taxi zur New Road bringen, einer der wichtigsten Geschäftsstraßen, wo wir als erstes bei der Nepal Bank Geld tauschen. Von da aus sind es nur wenige Meter zu Fuß zum Durbar Square, dem ursprünglichen Zentrum der Stadt.
Der Durbar Square ist die wichtigste Sehenswürdigkeit Kathmandus. Auf dem Platz befindet sich, neben dem alten Königspalast, ein Sammelsurium von Gebäuden und Tempeln jeder Art und Größe. Wir machen es den Einheimischen nach und klettern die Stufen eines Tempels hoch. Von etwa 10 m Höhe haben wir einen guten Blick auf das Treiben unter uns: Rikschafahrer sind auf der Suche nach Kunden; Sadhus winken freundlich den vorbeigehenden Touristen zu in der Hoffnung, fotografiert zu werden oder gegen das Aussprechen einiger segnender Worte ein paar Rupies zu bekommen; ein Hochzeitszug bewegt sich mit einer lärmenden Blaskapelle voran durch die Gassen; Kinder betteln um Geld; Straßenhändler wollen ihre Waren an den Mann/die Frau bringen; eine Truppe Soldaten in Tarnanzügen sprintet geschlossen in Richtung Königspalast; Obst- und Gemüseverkäufer haben sich im Schatten eines Tempel niedergelassen; Touristengruppen folgen ihrem Schirm schwenkenden Reiseleiter, der ihnen die Tempel erklärt. Wir könnten stundenlang da oben sitzen und alles beobachten, es würde uns nicht langweilig werden.
Irgendwann steigen wir wieder hinunter und schauen uns die Tempel, Gebäude und Statuen aus der Nähe an. Die Fenster und Stützstreben sind oft mit herrlichen Holzschnitzereien verziert und vom Fenster eines Tempels lehnen sich die Figuren des Götterpaares Shiva und Parvati heraus, die aus der Entfernung verblüffend echt erscheinen.
Vom Durbar Square aus gehen wir weiter in die Altstadt, vorbei an oft winzigen Läden, in denen allerlei Kunsthandwerk angeboten wird. Die Gassen sind sehr schmal und es wimmelt von Fußgängern, Radfahrern und Rikschafahrern. Die Autofahrer haben es nicht leicht, sich durch dieses Getümmel hindurchzumanövrieren. Obwohl uns immer wieder Taxi- und Fahrradrikschafahrer ansprechen, sind wir lieber zu Fuß unterwegs.
Erstens kommen sie auch nicht allzu schnell voran und zweitens können wir uns viel besser das ungeheure Warenangebot anschauen. Die Läden mit gleichen oder ähnlichen Waren sind meist konzentriert beieinander. So kommen wir zuerst an Saris, Stoffen, Bettdecken und Schals vorbei, dann an den Haushaltswaren, gefolgt vom Gewürzmarkt sowie Obst und Gemüse. Als die ersten Läden mit Camping- und Wanderbedarf auftauchen, wissen wir, dass unser angestrebtes Ziel, der Stadtteil Thamel, nicht mehr weit ist. In einer Beilage der Zeitung „Nepali Times“ lesen wir „dass es in Thamel für den Abenteuer-Touristen mehr Trekking- und Reiseagenturen pro Quadratzentimeter gibt, als anderswo auf der Welt“. Außerdem ist darin die Rede von „über 200 Restaurants und Bars auf einem Quadratkilometer“. Daneben gibt es noch Souvenirshops, Musik- und Videogeschäfte, Juweliere, Büchergeschäfte, Antiquitätenhändler, Läden mit Kleidung, Ausrüstungsgeschäfte für Camping- und Trekkingbedarf, Supermärkte mit westlichem Warenangebot, Bäckereien, Internet-Cafes und unzählige Hotels jeder Preisklasse. Es herrscht ein solches Überangebot, dass wir uns fragen, ob und wie die Ladenbesitzer überhaupt auf ihre Kosten kommen.
Vom Campingplatz aus brauchen wir zu Fuß etwa 30 – 40 Minuten bis nach Thamel. An allen Tagen, an denen wir keine Ausflüge machen, sitzen wir im ersten Stock eines Restaurants und genießen sowohl die Aussicht auf die Gassen als auch unseren Nachmittagskaffee. Vorher oder hinterher ziehen wir durch die Geschäfte und kaufen noch ein paar Sachen, die wir für eine geplante Trekkingtour brauchen. Thamel ist der Stadtteil, in dem die meisten Touristen unterkommen und sozusagen das Vorzeigeviertel schlechthin. Es ist deshalb auffallend sauber im Gegensatz zu den Vierteln, durch die wir auf unserem Weg kommen.
Besonders der Vishnumati, den wir dabei überqueren, verdient im Moment nicht die Bezeichnung „Fluß“. Er ist nur ein dünnes, stinkendes, graues Rinnsal, in dessen Flußbett jegliche Art von Müll geworfen wird. Im Vertrauen darauf, dass alles während des Monsuns fortgespült wird. Bis dahin sind die Müllberge eine Brutstätte für Bakterien und sogar die Einheimischen laufen oft mit Mundschutz herum. In unserem Reiseführer wird eine Atemschutz für den Fall empfohlen, dass man mit dem Fahrrad herumfahren will.
Der Schwermetallgehalt der Luft hat angeblich so gefährliche Ausmaße angenommen, dass Kathmandu als eine der vergiftetsten Großstädte Asiens gilt. Erkrankungen – besonders der Atemwege – bleiben da nicht aus. Ob damit auch das Geräusch erklärt werden kann, das uns durch ganz Nepal hindurch verfolgt, wissen wir nicht. Es ist auf jeden Fall so auffällig, dass es immer wieder zum Gesprächsthema wird, wenn wir auf andere Reisende treffen. Die Rede ist vom lauten, geräuschvollen Heraufziehen grünlichen oder weißen Schleims, der ungeniert auf die Straße gespuckt wird. Dazu kommt das Hochziehen von Rotz durch die Nase, gefolgt vom Ausschneuzen – natürlich ebenfalls auf die Straße. Dieses unappetitliche, unüberhörbare und unübersehbare Spucken, Husten und Röcheln wird von Männern, Frauen und Kindern – egal welchen Alters – gleichermaßen praktiziert. Besonders Männer bringen es dabei zu einer Lautstärke und Länge, dass sie Meisterschaften darin austragen könnten.
Während unseres Aufenthalts in Kathmandu machen wir auch mehrere Ausflüge in die Umgebung. Dazu lassen wir den Unimog auf dem Campingplatz stehen und fahren mit den einheimischen Bussen zu unserem jeweiligen Ziel.
An einem Samstagmorgen sind wir bereits früh am Busbahnhof und steigen in den Bus nach Dakshinkali. Dakshinkali ist ein Tempel, der der Göttin Kali geweiht ist. Er befindet sich in einer von Wald umgebenen Schlucht, am Zusammenfluß zweier Flüsse. Samstag und Dienstag sind die traditionellen Opfertage. Dann werden der Göttin Blumen, Früchte und Tiere dargebracht. Entlang des Weges zum Tempel können sich die Leute noch mit den notwendigen Zutaten versorgen, die an den vielen Ständen angeboten werden, einschließlich der Hähne. Nur wenn jemand einen Ziegenbock opfern will, muß er ihn bereits von Zuhause mitbringen. Und das machen genügend, wie wir beim Hinabsteigen der Stufen, die zum eigentlichen Tempelbezirk führen, feststellen. Wir gehen an Hunderten von Familien vorbei, die sich geduldig in mehreren Warteschlangen anstellen, um der Göttin ihr Opfer zu bringen.
Auf dem einen Arm das Kleinkind, auf dem anderen das Hendl bzw. an der Leine der Ziegenbock, dem der Kopf abgeschnitten werden soll, stehen Männer und Frauen da. Für Nicht-Hindus ist der Zutritt in das Innere des Tempels verboten, doch von der Aussichtsplattform sowie ein paar Stufen neben der Tempelmauer haben wir ungehinderten Ausblick auf das blutige Geschehen. Direkt auf der anderen Seite der Mauer stehen mehrere blutbeschmierte Metzger. Sie schneiden, nach einem gewissen Entgelt, den Tieren in regelrechter Fließbandarbeit den Kopf ab und lassen das Blut an die Wand, auf eine Kali-Figur, spritzen. Dann bekommt der Pilger das tote Tier zurück, das durch dieses Ritual heilig geworden ist. In einem Nebengebäude lassen die Einheimischen dann gleich noch die Federn ausrupfen und das Fell der Ziegen abziehen, bevor sie entweder nach Hause gehen oder im Wald nebenan die Tiere zum Picknick grillen.
Nach ein paar Stunden, in denen die Blutlache zu Füßen der Metzger immer größer wird, reicht es uns und wir machen uns auf die Suche nach einem Bus, der uns zurückbringt. Wir haben Glück und erwischen wieder einen Express-Bus, der ohne Stop bis Kathmandu durchfährt. Das bedeutet nur eine Stunde Fahrzeit, was uns bei den Bussen, die nicht gerade komfortabel sind, vollkommen reicht. Die Fahrt geht über eine ziemlich kurvenreiche Strecke. In jedem Ort gibt es sogenannte „Geschwindigkeitsbrecher“, das sind über die Fahrbahn verlaufende Bodenwellen, die die Fahrzeuge zum Langsamfahren zwingen sollen. Der Busfahrer bremst auch regelmäßig davor ab und fährt mit den Vorderrädern langsam darüber. Dann gibt er Gas und sobald er mit den Hinterrädern darüberfährt, machen wir auf der Rückbank jedes Mal einen Luftsprung.
Der einheimische Passagier neben Klaus verträgt anscheinend den Fahrstil des Busfahrers nicht, denn bei einer der Bodenwellen, gerade als wir wieder herunterknallen, übergibt er sich auf den Mittelgang. Die beiden rechts von ihm Sitzenden springen auf und flüchten nach vorne. Wir bleiben sitzen. Der Bus ist voll und es gibt keine andere Sitzgelegenheit. Stehen können wir auch nicht, der Bus ist so niedrig, dass wir mit eingezogenen Köpfen stehen müßten. Außerdem riecht es nicht und solange wir nicht hinsehen, können wir das Ganze ignorieren und halten problemlos bis nach Kathmandu durch.
Einen Tag vor Shivaratri, dem Festtag zu Ehren des Gottes Shiva, fahren wir nach Pashupatinath. Dieser Tempelkomplex liegt von der Innenstadt etwa 5 km entfernt am Bagmati-Fluß. Pashupatinath ist das wichtigste Heiligtum der Hindus und dem Gott Shiva gewidmet. Es ist, gerade vor Shivaratri, das Ziel zahlloser Pilger und Sadhus. Außerdem werden um diese Zeit besonders viele Leichen verbrannt, was wir beim Näherkommen schon riechen können. Mehrere brennende Holzstöße mit Leichen in verschiedenen Stadien der Verbrennung befinden sich am Flußufer. Von gegenüber, aus ca. 30 Metern Entfernung, haben wir einen guten Blick darauf. Wenn man will, kann man sogar noch näher hin.
Vom Gebäude hinter den Leichenverbrennungen sieht man aus wenigen Metern Entfernung auf sie herab. Zu dem Tempel, in dem sich die meisten Sadhus versammelt haben, haben nur Hindus Zutritt. Also steigen wir gegenüber die Stufen hoch, wo vor kleinen Tempelchen viele heilige Männer sitzen oder gar ihr Lager aufgeschlagen haben. Einheimische wie Touristen gehen zur Besichtigung an der Mauer entlang und das Ganze hat schon fast so etwas an sich, als würde man im Zoo das Verhalten von exotischen Tieren beobachten. Es finden sich fast zu viele „Darsteller“, die sich filmen und fotografieren lassen wollen. Von ihnen distanzieren sich die anderen Sadhus, die auf Anfrage nicht fotografiert werden wollen. Sie lassen dabei schon mal spöttische Bemerkungen über ihre Kollegen fallen.
Ein Heiligtum des Buddhismus befindet sich ganz in der Nähe des Campingplatzes, es sind zu Fuß nur gut 10 Minuten für uns. Die Stupa von Swayambunath thront auf einem Hügel und an klaren Tagen hat man eine herrliche Aussicht auf die Stadt und die Berge ringsum. Eine Stupa ist ein Gebäude, das über einer heiligen buddhistischen Reliquie zu deren Schutz erbaut wird. Im Fall von Swayambunath soll – der Legende nach – dadurch eine Lotusblüte geschützt werden, von der ein überirdisches Licht ausgeht.
Zur Stupa gibt es entweder einen relativ bequemen Fußweg oder eine große Treppe. Wir wählen die Treppe, denn durch die Besteigung der steil nach oben führenden 365 Stufen hat man angeblich die Sünden des vergangenen Jahres abgebüßt. Anstrengend genug ist der Aufstieg und so manchem Besucher geht zwischendurch die Luft aus. Da kommt es sehr gelegen, dass es auf dem Hügel nur so von Affen wimmelt. So kann man die Verschnaufpausen nutzen und den Affen beim Herumtollen zuschauen.
Gleich am Ende der Treppe steht das kuppelförmige Gebäude mit einem quadratischen Aufbau, an dessen vier Seiten die allsehenden Augen des Buddha gemalt sind. Ringsum die Stupa sind Reihen von Gebetsmühlen, die von den Gläubigen beim Umrunden in Gang gesetzt werden. Wir besichtigen die anderen Gebäude auf dem Gelände; bummeln an den Souvenirshops vorbei; beobachten die frechen Affen, die die Früchte stehlen, die von den Gläubigen als Opfer dargebracht werden; schauen den kleinen Jungs, kahlrasiert und wie die erwachsenen buddhistischen Mönche und in roter Kleidung, beim Spielen zu. Außerdem haben wir das Glück, dass eine asiatische Reisegruppe eintrifft, die vor der Stupa eine religiöse Zeremonie abhält mit Gebeten und melodischem Gesang.
Zu Sonjas Geburtstag machen wir einen zweitägigen Ausflug nach Nagarkot (2170 m ü.M.). Der Ort ist bekannt für seine Sonnenauf- und -untergänge mit Blick auf alle möglichen Fünf- bis Achttausender einschließlich des Mt. Everest. Unser Hotel hat auf dem Dach eine Aussichtsplattform, von der aus man das Bergpanorama genießen könnte. Leider meint es das Wetter nicht so gut mit uns. Bei eiskaltem Wind harren wir bis zum Sonnenuntergang oben aus und können immer nur kurze Blicke auf die Berge vor uns werfen. Der Wind treibt dicke Wolken vor sich her, die abwechselnd die Gipfel einhüllen. Zum Sonnenaufgang gehen wir erst gar nicht hoch, weil es neblig ist. Erst kurz vor der Abfahrt des Busses am frühen Vormittag reißt der Nebel auf und wir sehen einige Berge, darunter den Langtang, einen Siebentausender. Wir trösten uns mit der Aussicht, dass wir noch zum Trekken gehen werden und da hoffentlich näher und besser Berge sehen werden.
Nach unserer Rückkehr nach Kathmandu beginnen wir mit dem Aufräumen und Einpacken und zweiTage später fahren wir in das 200 km entfernte Pokhara. Die Stadt ist das zweitwichtigste Touristenzentrum des Landes, von hier aus starten viele Trekkingtouren in das Annapurnagebiet. Auch wir wollen trekken, können aber noch nicht gleich los, weil Sonja seit dem Ausflug nach Nagarkot Gliederschmerzen und Fieber hat. Ihr Zustand bessert sich nur insoweit, als die Schmerzen vergehen, das Fieber, eine starke Benommenheit sowie heftiger Husten bleiben. Nach drei Tagen gehen wir zur Untersuchung in eine Klinik für Ausländer. Sonja wird Blut abgenommen und die Lunge geröntgt, doch der Arzt kann nichts weiter feststellen, als dass sie irgendeinen Virus aufgeschnappt hat. Was es genau ist, weiß er auch nicht. Er verordnet starke Antibiotika für fünf Tage. Das Mittel schlägt gut an und Sonja geht es langsam besser.
Der Campingplatz in Pokhara liegt direkt am Fewa-See, mit Blick auf kleinere Hügel und den schneebedeckten Gipfel des Machhapuchre (6993 m hoch). Tagsüber ist es meistens sonnig und warm und wir verbringen die Wartezeit, bis Sonja wieder einigermaßen fit ist, mit Lesen und kleineren Spaziergängen.
Nach knapp zwei Wochen ist es soweit und wir buchen einen Flug nach Jomsom, von wo aus wir unsere Trekking-Tour starten wollen. Das Eintritts-Permit für das Begehen des Annapurna-Gebietes haben wir uns schon besorgt. Es kostet 2000 Rupies pro Person (= ca. 58,– DM). Der Flug kostet 48,– US$ pro Person. Am Tag vor unserem Abflug zieht sich mittags das Wetter zu und nachmittags regnet es. Wir sind voller Zweifel, ob wir nicht lieber einen Tag später fliegen sollen, im Reisebüro hatte man uns versichert, dass das Verschieben problemlos möglich sei. Doch wir haben schon alles soweit vorbereitet, die Rucksäcke fertig gepackt, alle verderblichen Lebensmittel aufgebraucht, den Unimog neben der Rezeption geparkt und sind innerlich schon so darauf eingestellt, dass wir es bei dem gebuchten Flug belassen.
Um kurz vor fünf Uhr stehen wir auf, frühstücken und packen die restlichen Sachen ein. Mit dem Taxi fahren wir zum Flughafen, um kurz nach sechs Uhr checken wir ein und geben das Gepäck auf. Pünktlich um halb sieben wird unser Flug aufgerufen. Wir gehen mit den anderen Passagieren übers Rollfeld und steigen in ein Flugzeug, indem etwa 20 Personen Platz finden. Wir sitzen in der zweiten Reihe von vorne und haben einen guten Blick in das Cockpit, denn es gibt keine Tür.
Die Propeller der Maschine laufen bereits, die Piloten machen nur noch die Windschutzscheibe sauber und wenige Minuten später heben wir ab. Es ist ein herrlicher Flug. Das Flugzeug fliegt dicht an den Bergen vorbei, deren schneebedeckte Gipfel von der gerade aufgehenden roten Morgensonne beschienen werden und rosa schimmern. Links ist das Dhaulagiri-Massiv mit insgesamt 11 Siebentausendern und einem Achttausender, rechts das Annapurna-Massiv mit 13 Siebentausendern und ebenfalls einem Achttausender. Viel zu schnell ist die Flugzeit von 35 Minuten vorbei und wir sehen Jomsom unter uns.
Der Pilot landet auf einer Schotterpiste, die das Rollfeld darstellt. Beim Aussteigen merken wir sofort den Temperaturunterschied, uns bläst ein frischer Wind entgegen. Immerhin sind wir jetzt auf 2700 m ü.M., Pokhara dagegen liegt lediglich auf 800 m ü.M. Das Ent- und Beladen von Passagieren und Gepäck geht in wenigen Minuten vonstatten und keine 10 Minuten später startet der Flieger zurück nach Pokhara. Aufgrund der Windverhältnisse kann die Strecke nur bis zum späten Vormittag geflogen werden, da muß alles schnell gehen.
Wir gehen erst einmal zum Tee trinken in den Ort. Nach einer gemütlich verbrachten Stunde brechen wir gestärkt auf. Noch in Jomsom überqueren wir eine Hängebrücke über den Kali Gandaki, in dessen Flußbett wir am Ende des Ortes einbiegen. Der Fluß besteht zu der Jahreszeit nur aus ein paar schmalen Bächen, die wir aber nicht queren müssen. Danach geht es am Rande des Flußbettes entlang. Der Himmel ist leuchtend blau und es scheint die Sonne, doch durch den stetigen Wind brauchen wir unsere warmen Jacken.
Das Laufen mit schwerem Gepäck ist noch ungewohnt. Beim Einchecken auf dem Flughafen wurde unser Gepäck gewogen und die beiden Rucksäcke brachten es auf 32 kg. Dass wir uns damit gerade für die Aufstiege einiges aufgeladen haben, ist uns klar. Trotzdem gehen wir lieber ohne Träger, was nicht unbedingt üblich ist.
Mindestens die Hälfte der Touristen gibt das Gepäck an einheimische Träger ab, um unbelastet wandern zu können. Wir sind froh, dass wir am ersten Tag noch nicht hoch hinauf müssen. Kagbeni liegt gerade mal 100 m höher als Jomsom. Mittags kommen wir dort an, nach einer knapp 4-stündigen Wanderung. Wir nehmen uns ein Hotelzimmer mitten im Ort, packen aus und gehen nachmittags noch etwas spazieren.
Kagbeni ist der letzte zugängliche Ort, bevor man nur mehr mit einer teuren Genehmigung in das Gebiet des nördlichen Mustang weiterreisen darf (700,– US$ für 10 Tage). Am Ortsende sind ein Stop-Schild mit entsprechenden Hinweisen und ein Polizeiposten. Wir drehen um und laufen noch etwas in den schmalen Gassen herum, das ganze Dorf ist in 10 Minuten abgelaufen.
In der Zwischenzeit hat sich der Himmel bewölkt und es fängt zu schneien an. Als wir zu Abend essen, schneit es heftiger und der Schnee bleibt bereits auf den Hausdächern liegen. Im Hotel gibt es keine Heizung und an dem Abend bleibt auch der Strom weg. Das Thermometer in unserem Zimmer zeigt 8°C. Vom frühen Aufstehen und der Wanderung sind wir so müde, dass wir deshalb gleich nach dem Essen, um halb sieben, in unsere Schlafsäcke kriechen.
Der Schneefall hat über Nacht aufgehört, draußen ist alles weiß. Vom Bett aus, mit Blick auf den Nilgiri, sehen wir die Sonne aufgehen. Um acht Uhr machen wir uns auf den Weg. Es ist zwar kalt, aber durch den gleich hinter Kagbeni beginnenden steilen Aufstieg wird es uns bald warm. Bis nach Muktinath müssen wir noch 1000 Höhenmeter hinauf. Das Panorama ist phantastisch. Ringsum sind schneebedeckte Berge vor einem blauen Himmel.
Die Sonne bringt den Schnee zum Schmelzen und macht den Boden schlammig, so dass wir vorsichtig sein müssen, um nicht auszurutschen. Wir legen immer wieder kürzere und längere Pausen oder Filmstops ein, bevor wir nach drei Stunden in einem kleinen Dorf Tee trinken. Im nächsten Ort, eine Stunde weiter, machen wir Mittagspause. Von hier aus können wir bereits den Ortsanfang von Muktinath sehen. Es sieht ganz nah aus, doch der letzte Aufstieg dauert noch einmal eine Stunde und wird auf den letzten Metern ziemlich anstrengend. Jetzt merken wir die Höhe, Muktinath liegt immerhin auf 3700 m ü.M.
Außer Atem bleiben wir sofort beim ersten Hotel stehen und nehmen uns ein Zimmer. Das Hotel hat eine sonnige Terrasse, auf der wir uns in einer windgeschützten Ecke bei einer Kanne Tee von den Strapazen erholen. Später machen wir noch einen kurzen Spaziergang in den Ort und lassen die Trekking-Erlaubnis bei der Polizei abstempeln. Auf dem Rückweg zum Hotel sehen wir einen riesigen Vogel, der in kurzer Entfernung vor uns dahinschwebt. Es ist ein Lammergeier, der eine Flügelspannweite von fast drei Metern hat.
Das Abendessen im Hotel ist sehr gut. Anschließend bleiben wir noch mit anderen Touristen im Speiseraum sitzen, weil hier geheizt wird. Über dem großen Eßtisch liegt eine Decke, die an allen vier Seiten lang herunterhängt. Unter dem Tisch steht ein Becken mit heißen Holzkohlen.
Zu acht sitzen wir auf den Bänken ringsum und wärmen uns auf. Jeder zögert das Zubettgehen hinaus, denn wir haben in unserem Zimmer eine Temperatur von 3°C gemessen.
Als wir gegen halb sieben wach werden, geht gerade die Sonne auf, während über den Bergen noch der Mond steht. Es kostet uns einige Überwindung aus dem Schlafsack zu steigen, das Thermometer zeigt immer noch 3°C an. Während wir frühstücken sehen wir einen Sadhu barfuß in den Ort gehen. Sein Ziel ist die Tempelanlage von Muktinath. Wir tun es ihm mittags gleich und gehen ebenfalls hin.
Der Ort wird von Hindus und Buddhisten gleichermaßen als heilig verehrt. In einem kleinen Gebäude befindet sich die eigentliche Sehenswürdigkeit. Dort gibt es in einem Erdloch neben fließendem Wasser eine kleine bläuliche Erdgasflamme. Besonders die Hindus verehren diese Verschmelzung der drei Elemente Erde, Wasser und Feuer. Wir sehen immer wieder indische Pilger, die den Weg hierher auf verschiedenste Art zurücklegen. Viele kommen zu Fuß. Wer etwas mehr Geld hat, fliegt nach Jomsom und reitet von dort aus mit einem Pferd weiter. Wer am meisten Geld hat, mietet sich einen Helikopter. Direkt unterhalb des Tempels sehen wir ihn auf dem Hubschrauberlandeplatz aufsetzen. Später im Hotel erzählt man uns, dass der einstündige Flug für vier Personen umgerechnet etwa 1000,– DM kostet.
Wir hatten uns auf dem Weg hierher schon gewundert, warum wir jeden Tag so oft den Hubschrauber gesehen hatten. Jetzt wissen wir den Grund dafür. Den Nachmittag verbringen wir wieder auf der Terrasse, bis es Zeit zum Abendessen ist. Dann wechseln wir in den Speiseraum, wo nach Sonnenuntergang wieder die „Heizung“ unter dem Tisch angemacht wird.
Auch heute können wir wieder vom Bett aus zuschauen, wie beim Sonnenaufgang immer mehr Berggipfel beleuchtet werden. Nach einem reichhaltigen Frühstück gehen wir um kurz vor neun Uhr los. Der Abstieg ist einfach und wir kommen schnell voran. Weil kein Schnee mehr liegt, sieht die Landschaft heute völlig anders aus. Sie ist fast schon wüstenähnlich in ihrer Dürre und Kargheit. Nach eineinhalb Stunden sehen wir Kagbeni.
Die vor zwei Tagen schneebedeckten Terrassenfelder, die den Ort umgeben, schimmern jetzt grün und alles sieht viel freundlicher aus. Wir gehen nicht mehr ins Dorf, sondern nehmen ein Stück oberhalb die Abzweigung, von wo aus es direkt nach Jomsom geht. Im einzigen Ort auf dem Weg dahin machen wir Mittag. Dann gehen wir wieder am Kali-Gandaki-Flußbett entlang. Als wir um eine Ecke biegen, erwischt uns heftiger Gegenwind, der uns während der folgenden zwei Stunden bis Jomsom mal weniger, mal heftiger ins Gesicht bläst und den Sand aufwirbelt. Der heftige Wind ist ein tägliches Naturereignis im Flußtal zwischen Kalopani und Kagbeni. Bis zum späten Vormittag kommt der Wind aus Norden, dann dreht er und bläst aus Süden, wobei er im Tagesverlauf immer stärker wird. Das ist auch der Grund, warum die Flugzeuge nur vormittags fliegen können.
Als wir am frühen Nachmittag in Jomsom ankommen, sind unsere Gesichter voll mit schwarzem Sand. In dem Hotel, in dem wir am ersten Tag Tee getrunken haben, nehmen wir uns ein Zimmer. Wir machen uns nur notdürftig sauber und gehen dann sofort zum Kaffee trinken. Die Eigentümerin hatte uns schon damals ihren Käsekuchen und Apfelstrudel angepriesen und das zu Recht, wie wir feststellen. Der Kuchen schmeckt hervorragend. Anschließend duschen wir heiß, zum ersten Mal auf der Tour. Bisher hatten wir uns nur immer mit kaltem Wasser gewaschen. Danach fühlen wir uns wie neugeboren.
Vor dem Abendessen machen wir noch einen Spaziergang durch die Hauptstraße. Schon von weitem hören wir jedes Mal das Läuten, das eine Pferde- oder Eselkarawane ankündigt. Die Tiere sind oft bunt geschmückt und haben meistens eine Glocke umhängen. Auch auf den Wanderwegen sind wir den Lasttieren schon mehrmals begegnet. Sie folgen einem der ältesten Handelswege zwischen Indien und Tibet und sind das Haupttransportmittel, um die Waren in die entlegensten Orte zu bringen. Daneben sehen wir immer wieder Menschen mit riesigen Lasten, die sie auf eine für uns ungewohnte Art tragen. Sie haben keinen Schulterrucksack, sondern einen Trageriemen, den sie sich über die Stirn legen. In Muktinath haben vor dem Hotel fünf Männer kurz Pause gemacht und Klaus hat sie nach dem Gewicht der Körbe gefragt. Es lag zwischen 30 und 40 kg. Die Männer transportierten Haushaltswaren aus Blech und sind zu Fuß bis aus Pokhara gekommen. Sie waren bis Muktinath 14 Tage unterwegs gewesen.
Während wir noch beim Frühstücken sitzen und das Treiben auf der Straße beobachten, joggt eine Truppe Soldaten in Tarnanzügen und mit Gepäck vorbei. In Jomsom gibt es ein Militärcamp und die Männer absolvieren anscheinend gerade ihr Morgentraining. Ihnen folgen Soldaten mit alten Maschinengewehren, zum Teil noch mit Bajonettaufsätzen. Das ganze wirkt völlig fehl am Platz und passt überhaupt nicht zu der friedlichen Morgenstimmung.
Eineinhalb Stunden nach unserem Abmarsch aus Jomsom erreichen wir Marpha, ein großes Dorf, dessen Hauptweg komplett mit Steinplatten gepflastert ist. Alles sieht sauber und ordentlich aus. Wir machen eine Teepause und stellen fest, dass immer mehr dunkle Wolken aufziehen Auch das einheimische Mädchen, das uns bedient, weist darauf hin, dass es heute wahrscheinlich noch regnen wird.
Marpha ist bekannt für seinen Obst- und Gemüseanbau. In den kleinen Läden werden die von der ortsansässigen Destillerie gebrannten Obstschnäpse verkauft. Wir bevorzugen jedoch die Äpfel, die zwar vom Lagern her etwas schrumplig geworden sind, aber ausgezeichnet schmecken. Die Bäume auf den Obstplantagen, die außerhalb des Ortes angelegt sind, stehen gerade in voller Blüte und bilden einen auffälligen Gegensatz zu der kargen Landschaft.
Von Marpha aus folgen wir weiter den als „Winterroute“ beschrifteten Wegen durch das Flußbett. Erst nach dem Monsun, wenn der Fluß anschwillt, muß man auf den Weg außerhalb ausweichen. Zur Zeit aber sind nur gelegentlich ein paar kleine Bäche zu überqueren. Die „Brücken“ bestehen meist nur aus zwei, drei Balken, die nach wenigen Schritten zu schwingen und zu wippen anfangen.
Wir haben weiterhin Gegenwind und das Wetter wird im Laufe des Tages immer schlechter. Dicke Wolken hängen in den Bergen. Hinter Larjung queren wir das Flußbett vollständig und laufen an der linken Uferseite weiter anstatt wie bisher rechts. Die Landschaft ändert sich allmählich, es gibt jetzt immer mehr Nadelbäume. Der Weg führt eine Weile durch einen Wald, was für uns ganz ungewohnt ist, nachdem wir bisher immer freien Blick in die Umgebung hatten.
Nach unserer Nachmittagspause fängt es leicht zu nieseln an. Der nächste Ort besteht aus ein paar Häusern, in denen es zwar die Möglichkeit gibt, Tee zu trinken, nicht jedoch zu übernachten. Das Nieseln geht in einen stetigen Regen über, in dem wir eine Stunde lang laufen, bevor wir endlich Kalopani erreichen. Triefend stolpern wir in das Guest House, wo wir uns bei Tee, Kaffee und Kuchen aufwärmen. Die Verpflegung auf dem Trek ist sehr gut und die Auswahl auf der Speisekarte fast so groß wie im Tal unten. Das läßt uns immer wieder schnell die Anstrengungen des Tages vergessen.
Das Guest House ist sehr gemütlich und wir nehmen uns ein Zimmer. Abends sitzen wir mit ungewöhnlich vielen Leuten am „geheizten Tisch“. Bisher waren wir höchstens mal mit zwei bis vier anderen Touristen im Hotel, in Kagbeni sind wir sogar die einzigen Gäste gewesen. Heute jedoch drängen sich über 20 Leute zusammen, ein buntes Gemisch verschiedenster Nationalitäten: Kanadier, Nepali, Holländer, Amerikaner, Malayen, Schweizer, Brasilianer und Deutsche. Es ist eine lebhafte, lustige Runde und zum ersten Mal liegen wir nicht schon um acht Uhr im Bett.
Der Regen hat sich verzogen, der Tag beginnt mit einem strahlend blauen Himmel. Die Sonne geht hinter der Annapurna auf und bescheint die weißen Gipfel der Berge, die den Ort umgeben. Gestern haben wir sie nicht sehen können, weil dicke Regenwolken davorhingen.
Wir brauchen fast eine halbe Stunde durch Kalopani, das mit dem Nachbardorf Lete zu einem langgezogenen Ort zusammengewachsen ist. Unser Weg führt nicht mehr im Geröllbett des Flusses entlang, sondern oberhalb . Der Kali Gandaki hat sich verschmälert und fließt jetzt in einer tiefen Schlucht. Wir wollen es heute bis Tatopani schaffen und morgen dann einen Ruhetag einlegen. Tatopani liegt auf 1200 m ü.M., Kalopani dagegen auf 2530 m ü.M. Das bedeutet, dass wir fast 1300 Höhenmeter hinabsteigen werden.
Doch es geht nicht ständig bergab. Der Weg verläuft vielmehr in einem ständigen Auf und Ab. Wir klettern oft viele unregelmäßig angelegte Stufen hinunter, nur um dann wieder genauso hoch oder sogar höher hinaufzuklettern. Anschließend geht es wieder runter und wieder rauf. Es wird immer grüner, Wälder ziehen sich die Abhänge hinauf. Bei den Orten sehen wir Gemüsegärten, auf einem Feld wächst Gerste. Mittagspause machen wir am Kali Gandaki, es ist mal wieder über einen steilen, rutschigen Pfad hinuntergegangen. Der bisher blaue Himmel bezieht sich mit Wolken, die uns schon wieder Regen befürchten lassen. Es dauert auch nicht lange, bis es zu nieseln anfängt. Sicherheitshalber richten wir unsere Jacken griffbereit her und ziehen die Regenhüllen über die Rucksäcke. Doch nachdem wir fertig sind, kommt die Sonne wieder heraus. So geht es dann für den Rest des Tages.
Es ist warm, fängt aber immer wieder zu nieseln an. Sobald wir beschließen, die Jacken anzuziehen, hört es wieder auf. Die Luft wird durch den ständigen Wechsel immer dampfiger und stickiger. Der Regen läßt die Felsen und Steinstufen schlüpfrig werden und wir müssen langsam gehen und aufpassen, dass wir nicht ausrutschen. Immer wieder kommen uns Pferde- und Eselkarawanen entgegen. Weil der Weg schmal ist, warten wir jedes Mal, bis sie vorbei sind, erst dann können wir weiter. Wir haben das Gefühl, als ob wir kaum vorwärtskommen und bezweifeln, dass wir es bis Tatopani schaffen.
In den Dörfern sind kaum Menschen unterwegs, der immer wieder einsetzende Nieselregen treibt sie anscheinend in ihre Häuser. Endlich sehen wir am Ende eines Ortes ein Schild „Tatopani 1 Std.“ Es werden dann zwar eineinhalb daraus, doch das ist nicht so wichtig. Mit schmerzenden Füßen laufen wir bis zum Hotel „Trekkers Lodge“, das uns von anderen empfohlen worden ist. Aus der geplanten heißen Dusche wird nichts. Das Wasser dazu wird mit einer Solaranlage erwärmt und weil heute zu wenig die Sonne schien, kommt das Wasser nicht mal richtig lauwarm. Trotzdem stellen wir uns darunter, wir sind völlig durchgeschwitzt und verklebt. Dann kümmern wir uns um unsere Füße, an denen sich jeder von uns Blasen gelaufen hat. Nach dem Abendessen fallen wir todmüde ins Bett. Von den achteinhalb Stunden, die wir unterwegs waren, sind wir sieben Stunden gelaufen, unsere längste Etappe.
Wie immer beginnt der Tag mit Sonnenschein und blauem Himmel. Das Klima in Tatopani ist so mild, dass wir zum Frühstück im Freien sitzen. Es gibt frischen Saft von Orangen, die bei Bedarf von den Bäumen im Garten gepflückt werden. Nach dem Frühstück gehen wir zu den heißen Quellen, für die der Ort berühmt ist.
Wir haben uns vorsorglich Badekleidung mitgenommen. Nicht weit vom Fluß entfernt gibt es zwei gemauerte Becken, in denen man sich bei 40° – 45°C heißem Wasser entspannen kann. Bereits nach wenigen Minuten haben wir schrumplige Haut an den Fingern. Wir halten es nicht mal eine Viertelstunde aus, dann wird es uns zu heiß. Unter einem Strahl kalten Wassers kühlen wir uns ab und gehen zurück ins Hotel. Den restlichen Vormittag verbringen wir lesend in der Sonne. Nach dem Mittagessen bummeln wir durch Tatopani. Es gibt jedoch nicht viel zu sehen außer ein paar Hotels und Läden. Am Ortsende haben sich etliche Männer versammelt, die einen Wettbewerb im Bogenschießen austragen. Wir schauen ihnen zu, bis es Zeit zum Kaffee trinken ist. Dazu ißt jeder von uns ein riesiges Stück des hausgemachten Schokoladenkuchens. Wegen der Kalorien machen wir uns keine Gedanken, unser Verbrauch beim Wandern ist so hoch, dass wir trotz des üppigen Essens bisher nicht zugenommen haben.
Beim Abendessen treffen wir einige der Leute wieder, die wir unterwegs kennengelernt haben. So ziemlich jeder klagt über ein paar Wehwehchen, über Blasen oder Muskelkater.
Uns und besonders unseren Füßen hat der Ruhetag sehr gutgetan. Ausgeruht und gestärkt machen wir uns nach dem Frühstück auf den Weg. Als wir um acht Uhr losgehen ist es so warm, dass wir nur ein kurzärmliges T-Shirt brauchen. Die Landschaft hat im weiteren Verlauf nichts gebirgiges mehr an sich. Laubbäume ziehen sich die Hügel hinauf und schneebedeckte Gipfel sind nur hinter unserem Rücken zu sehen.
Auch heute kommen uns wieder viele Tierkarawanen entgegen. An einer Hängebrücke müssen wir warten, bis drei Karawanen darübergezogen sind. Neben uns stehen vier ältere einheimische Frauen, die schwer bepackte Körbe schleppen und die Pause zum Anlaß nehmen, sich eine selbstgedrehte Zigarette anzuzünden. Alle vier sind barfuß unterwegs. Der Weg verläuft zwar auch wieder auf und ab, doch die Passagen sind flacher und langgezogener, was das Gehen etwas leichter macht. Dafür ist es sehr warm und wir sind dankbar für jedes bißchen Schatten.
Am Spätnachmittag erreichen wir Galeswor. Hier sehen wir zum ersten Mal wieder Fahrräder, gleich darauf kommt uns ein Motorradfahrer entgegen. Damit ist uns klar, dass das Ende des Treks bald erreicht ist. Am Ortsende warten Taxis, die zum wenige Kilometer entfernten Beni fahren. Wir überlegen es uns auch, gehen aber die 45 Minuten bis Beni doch noch zu Fuß.
Der Weg ist zu einer staubigen Piste verbreitert worden, auf der leicht zwei Autos aneinander vorbeifahren können. In einem Reiseführer haben wir gelesen, dass das Ziel darin besteht, irgendwann eine Straße bis nach Jomsom zu bauen. Beni ist zwar eigentlich nur ein Dorf, doch verglichen mit den Orten an der Trekking-Route erscheint es uns riesig. Für uns markiert es das Ende der Wanderung. Im Yeti-Hotel sind wir anfangs die einzigen Gäste. Später kommen noch zwei Frauen, die wir aber nicht beim Abendessen sehen. Als wir uns an der Rezeption über die Busse nach Pokhara informieren, bietet uns der Besitzer an, uns für den kommenden Tag Plätze im ersten Bus reservieren zu lassen.
Wir machen uns zeitig auf den Weg, der Bus soll schon um neun Uhr abfahren. Der Busparkplatz ist 15 Minuten zu Fuß vom Hotel entfernt, an einer Hängebrücke über den Kali Gandaki, der den Ort in zwei Teile teilt. Der Hotelbesitzer hat uns einen Preis von 120 Rupies für das Ticket genannt, der Mann am Schalter will jedoch 150 pro Person. Das erscheint uns komisch und wir erklären ihm, wir würden keine Provision dafür bezahlen, nur weil jemand telefoniert hat. Nein, nein, beteuert er, alle Passagiere bezahlen den gleichen Preis, egal ob Touristen oder Einheimische. Wir sind so früh dran, dass außer uns noch niemand im Bus sitzt. Deshalb können wir wegen des Preises nicht nachfragen.
Irgendwie haben wir kein gutes Gefühl bei der Sache. Den ersten Einheimischen, der einsteigt, fragt Sonja deshalb sofort nach dem Preis. Der Mann schaut etwas verlegen und wir denken zuerst, er versteht kein Englisch. Wir fragen ihn noch einmal und zeigen ihm, dass der Preis auf dem Ticket steht. Da sagt er zu uns, in dem Kassenhäuschen hätten sie ihm gesagt, er solle mit uns nicht über den Preis reden. Das braucht er auch nicht, das ist für uns die Bestätigung, dass etwas nicht stimmt. Sonja bleibt beim Gepäck im Bus, Klaus stürmt zu dem Ticketverkäufer. Auf dem Weg dahin kommt ihm die Französin entgegen, mit der wir am Tag vorher schon gesprochen hatten. Sie hat nur 100 Rupies bezahlt.
Beim Kassenhäuschen entwickelt sich eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Klaus und dem Verkäufer. Er wollte uns um 100 Rupies betrügen, das gibt Klaus allen deutlich zu verstehen, die herumstehen. Wie immer, wenn was los ist, hat sich sofort eine neugierige Menschenmenge gebildet. Klaus fordert das Geld zurück, das ihm von einem sichtlich blassen und eingeschüchterten Angestellten auch ausgehändigt wird. Als er wieder im Bus ist, diskutieren wir noch eine Weile darüber. Besonders wütend sind wir deshalb, weil wahrscheinlich jeder, der herumstand, als wir die Tickets kauften, genau wußte, dass wir betrogen werden. Der Mann, den wir nach dem Preis gefragt haben, spricht uns noch einmal an. Wir erzählen ihm, wie enttäuscht wir von dem Ganzen sind. Da sagt er uns, dass es in Nepal leider weit verbreitet sei, sich nicht an die Gesetze zu halten.
Pünktlich um neun Uhr fährt der Bus ab. Bis Baglung ist die Straße nicht geteert und wir merken jedes Schlagloch, weil die Sitzbank nur wenig gepolstert ist. Auf der Teerstraße wird es dann etwas besser. Der Fahrer ist kein Raser und wir müssen auf der kurvenreichen Strecke nicht befürchten, dass er uns in den Abgrund stürzt. Um kurz nach ein Uhr läßt er uns an einer Kreuzung in Pokhara aussteigen und wir schultern zum letzten Mal unsere Rucksäcke. Es sind nur noch zwei Kilometer bis zum Campingplatz.
Auf dem Campingplatz verbringen wir dann noch zwei Wochen. Die ersten Tage haben wir noch herrliches Wetter und so liegen wir meistens nur faul herum. Wir treffen mehrere der Motorradfahrer wieder, die wir in Islamabad kennengelernt haben und gehen gelegentlich miteinander zum Essen. Nach einer Woche wird es immer diesiger, die Berge sehen wir kaum noch. Es sieht aus, als ob sich der Vormonsun ankündigt. Das bringt uns dazu, einiges aufzuarbeiten. Sonja ergänzt den Reisebericht, Klaus macht kleinere Wartungsarbeiten am Unimog. Wir lesen uns noch einmal in die Indien-Bücher ein und planen die Reiseroute für Pakistan. Das Visum dafür haben wir uns bereits in Kathmandu innerhalb eines Tages besorgt.
Eigentlich hatten wir vorgehabt, uns bei der Weiterfahrt nach Indien ein paar Tage Zeit zu lassen. Doch am Tag vor der Abfahrt erfahren wir, dass von zwei politischen Parteien ein dreitägiger Streik mit Straßenblockaden angesagt ist. In den würden wir genau hineinfallen. Der Campingplatzpächter erzählt uns von dem letzten Streik, der 2 oder 3 Monate zurückliegt. Da durften keine Fahrzeuge auf die Straße, hat es jemand trotzdem versucht, wurde er mit Steinen beworfen. Wir wollen mit der Abfahrt nicht länger warten, sollte der Streik eventuell doch länger dauern, würden wir Probleme wegen der auslaufenden Visa bekommen. Uns bleibt damit nur ein Tag zur Ausreise. Wir stellen uns den Wecker für den Abfahrtstag auf 6.00 Uhr. Um 7.00 Uhr fahren wir los und erreichen am Nachmittag Sonauli, die nepalesisch-indische Grenzstadt. Die Abfertigung geht recht schnell, auf der nepalesischen Seite sind wir in einer Stunde fertig.