Landkarte Indien
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Während bei den Pässen alles reibungslos klappt, sind vier Motorräder und ein Fahrzeug anscheinend zu viel für die Beamtin, die die Carnets bearbeitet. Hier herrscht ein ziemliches Durcheinander. Nur so ist es zu erklären, dass sie es schafft, zwei der Carnets falsch abzustempeln. Es trifft das australische Paar und uns. Das Carnet de Passage ist ein wichtiges Zolldokument. Wir haben eins für das Auto und eins für das Motorrad. Für beide Fahrzeuge haben wir zusammen 16000,– DM beim ADAC hinterlegen müssen. Das Carnet ist für das bereiste Land eine Garantie, dass das Fahrzeug dort nicht verkauft, sondern wieder ausgeführt wird. Nur dann bekommt man das hinterlegte Geld zurück. Deshalb ist es wichtig, dass Ein- und Ausfuhr in dem Heft korrekt belegt werden. In unserem Fall hat die Beamtin beim Auto zwei Blätter herausgerissen, was bedeutet, dass wir theoretisch zwei Fahrzeuge eingeführt haben. Sowohl wir als auch die Australier reklamieren lautstark den Irrtum, der irgendwie wieder beseitigt werden muss. Wir lassen uns den zuviel herausgerissenen Zettel wiedergeben und von einem höherrangigen Beamten eine Erklärung hinzufügen. Damit klammern wir alles zusammen und hoffen, dass wir die Sache im nächsten Land bei der Einreise einigermaßen erklären können.

Die Abfertigung der anderen Motorradfahrer dauert danach noch etwas und so verabreden wir, dass wir uns außerhalb des Zollbereichs wieder treffen wollen. Wir parken auf einem Platz in der Nähe von ein paar kleinen Restaurants und holen uns was zu essen. Eine halbe Stunde später sind auch die anderen da und wir fahren gemeinsam die 30 Kilometer bis nach Amritsar. Dort wollen wir erst einmal ein paar Tage bleiben. Im Ort erkundigen wir uns nach Mrs. Bhandaris Guesthouse und ein Fahrradfahrer weiß Bescheid. Er fährt voraus, danach kommen vier Motorräder und dann wir mit dem Unimog. Es ist schade, dass wir keine Möglichkeiten haben, den Anblick des strampelnden Radfahrers mit den folgenden Fahrzeugen zu filmen.

Mrs. Bhandaris Guesthouse ist schon eine traditionsreiche Einrichtung. Die ursprüngliche Gründerin des Gästehauses lebt zwar noch, aber die Pension wird inzwischen von ihren Töchtern betrieben. Wir haben die alte Dame, die inzwischen 94 Jahre alt ist, nur einmal gesehen, als sie dick in Decken verpackt mit einer ihrer Töchter in der Sonne gesessen ist. Das Gästehaus liegt etwa 2 Kilometer außerhalb vom Stadtzentrum in einer ruhigen Gegend. Der riesige Garten ist üppig bepflanzt mit hohen Bäumen, blühenden Sträuchern und Blumen. Es schwirren Papageien herum, wir sehen Spechte und andere Vögel, deren Namen wir nicht kennen. Es ist eine richtige grüne Oase, wenn man aus dem Trubel in der Stadt zurückkommt.

Nachdem die anderen ihre Zelte aufgeschlagen und wir den Unimog geparkt haben, treffen wir uns als erstes auf ein Bier. Es sind auch noch andere Reisende da, die ebenfalls in Islamabad waren und so vergeht der Nachmittag mit Nichtstun und Unterhalten. Zum Abendessen fahren wir, verteilt auf mehrere Fahrradrikschas, ins Stadtzentrum. Es ist ganz eigenartig, wenn man plötzlich so langsam und ruhig unterwegs ist. Die Einheimischen, die uns überholen, fahren oft noch ein Stück nebenher und unterhalten sich mit uns. Eine Fahrradrikscha ist eine gute Möglichkeit, sich in Ruhe die Gegend anzusehen.

Weltreise Etappe Landweg nach Indien

Auf den ersten Blick sieht Amritsar noch gar nicht nach dem typischen Indien aus, das jeder von uns erwartet hat. Der Ort ist gut geeignet, um sich an Indien anzupassen und einzugewöhnen. Die größte Sehenswürdigkeit von Amritsar ist der Goldene Tempel. Er ist das höchste Heiligtum der Sikhs, einer kleinen Volks- und Religionsgruppe Indiens. Der Tempel ist umgeben von einem Teich, der wiederum in der Mitte eines großen Gebäudekomplexes liegt. Die Anlage darf man – egal ob Mann oder Frau – nur barfuß und mit Kopfbedeckung betreten. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen von Besuchern, die hier beten oder auf dem Weg am Teich entlang gehen.

Wir schauen uns den Tempel zu verschiedenen Tageszeiten an. Morgens bei Sonnenaufgang, im weichen Licht der Nachmittagssonne und nachts bei voller Beleuchtung. Es herrscht immer eine ruhige, friedliche Atmosphäre, zu der der ständige Gesang passt, der aus Lautsprechern ertönt. Spezielle, hochverehrte Sänger (= Raghis) sitzen im Innern des Tempels und zitieren hierzu aus dem Adi Granth, dem heiligen Buch.
Die Eingangstore des Tempels öffnen sich in alle vier Himmelsrichtungen und symbolisieren die Offenheit und Toleranz der Sikhs. Wir werden immer wieder angesprochen und willkommen geheißen. Ein älterer Mann erklärt uns, dass der Tempel ein Platz des Friedens sei und für alle Menschen offen steht, egal welcher Religion oder Nationalität.

Mit diesen ersten positiven Eindrücken fahren wir weiter. Auf einer zumeist vierspurig ausgebauten Straße erreichen wir nach zwei Tagen Fahrt unsere nächste Station, Jaipur. Hier finden wir ein Hotel, das in einem Park liegt und bei dem wir gut stehen können.
Entweder mit Fahrrad- oder Motor-Rikschas starten wir zu unseren Besichtigungstouren in die berühmte „Rosa Stadt“. Gemeint ist damit die Altstadt Jaipurs. Die rosa Farbe bekamen die Häuser anlässlich eines Staatsbesuchs Prinz Alberts (dem späteren König Edward VII) im Jahre 1876. Seitdem hat sich nicht viel geändert, denn die Altstadt steht unter Denkmalschutz.

Um dagegen die Hauptattraktion Jaipurs zu erleben, müssen wir früh unterwegs sein. Ab halb neun Uhr morgens liegt die Fassade des Palastes der Winde im vollen Sonnenlicht. Als wir beim ersten Mal davorstehen, erscheint uns das Gebäude bei weitem nicht so hoch, wie es auf den Fotos immer den Anschein hat. Erst als uns ein Hausbesitzer von seiner Dachterrasse aus den Palast filmen lässt, wirkt er größer. Unmittelbar vor uns haben wir die gesamte Fassade und können so in Ruhe die verzierten Erker, Balkone und Fenster bewundern. Später besichtigen wir noch den Palast selbst und steigen so hoch hinauf wie es geht. Von oben haben wir einen schönen Blick auf die Altstadt sowie die Berge, die Jaipur umgeben und auf deren Rücken sich mehrere alte Forts befinden.

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In Jaipur finden wir auch etwas von dem Indien, das wir eigentlich erwartet und befürchtet haben. Wenn ein Rikschafahrer auf dem Weg zu unserem Hotel von der belebten Hauptstraße abweicht und durch die Seitenstraßen fährt, sehen wir unzählige Leute, die auf der Straße leben. Ihre Habe, sofern sie überhaupt etwas haben, hängt in einem Beutel an der Mauer. Auf dem Gehweg davor leben, essen und schlafen die Menschen. Die Kinder spielen am Straßenrand. Müll und Dreck häufen sich an den Straßenecken, wo er von den herumlaufenden Kühen durchstöbert und gefressen wird.

Unser ursprüngliches Vorhaben, auf der Weiterfahrt in den Süden noch ein paar Städte zu besichtigen, verschieben wir vorerst. Es ist fast Mitte Dezember und vor uns liegen 1800 Kilometer Fahrt. Wir wollen Weihnachten in Goa verbringen und weil es um diese Zeit ziemlich voll sein wird, wollen wir uns rechtzeitig einen schönen Platz am Strand sichern. Die Fahrt in den Süden verteilen wir auf sechs Tage. Ein schnelleres Vorwärtskommen ist uns nicht möglich.
Die Straßen sind meistens gar nicht so schlecht. Aber das Verkehrsaufkommen ist gewaltig, besonders um die Ortschaften herum. Es wimmelt von Fußgängern, Fahrradfahrern, Motorrikschas, Ochsengespannen und natürlich Lkw’s. Zeitweise fahren wir in einem regelrechten Konvoi dahin. Nur für die Pausen und Übernachtungen scheren wir aus, um uns am nächsten Morgen wieder in die Kolonne einzureihen.

Erst als wir an Bombay vorbei sind, wird der Verkehr etwas weniger. Jetzt können wir uns auch mal die Landschaft anschauen. Seit wir den Wendekreis des Krebses, der den Beginn der Tropen markiert, überschritten haben, ist die Vegetation zunehmend grüner und üppiger geworden. Wir fahren durch eine hügelige Gegend, die dicht bewachsen ist und uns schon fast dschungelartig vorkommt. Am Vormittag unseres sechsten Fahrtages erreichen wir die Grenze zu Goa, dem kleinsten Bundesstaat Indiens. Im Verhältnis zum übrigen Indien macht Goa einen geradezu wohlhabenden Eindruck, Slums und Bettler sind selten und fast dreiviertel der Bevölkerung kann lesen und schreiben. Außerdem sind Ansätze von Umweltschutz zu erkennen. 1961 endete die 450-jährige Kolonialherrschaft Portugals. Kurz darauf wurde Goa von Hippies und Aussteigern „entdeckt“, die sich an einigen der fast 100 Kilometer langen Sandstränden niederließen und Goa weltberühmt machten.

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Wir wollen Weihnachten und Silvester hier verbringen und entscheiden uns für Agonda Beach, das im Süden Goas liegt. Es gibt einen kleinen Ort, ein Dutzend Restaurants sowie einige Strandhütten und Räume, die man mieten kann. Am Ende der 3 Kilometer langen Bucht ist ein kleiner Palmenhain, in dem wir unseren Unimog parken. Außer uns sind noch fünf andere Fahrzeuge da.
Der Platz ist fast zu schön, um wahr zu sein. Es gibt keinen Trubel, keine Hektik. Die Hängematte passt genau zwischen zwei Palmen und ins Wasser laufen wir ein paar Schritte über den Sandstrand. Es ist nicht zu heiß, vielleicht gerade mal 30°C, gelegentlich weht ein angenehmer Wind und nachts kühlt es auf unter 20 °C ab, so dass wir gut schlafen können. Und es gibt keine Moskitos.

Es ist nur noch eine Woche bis Weihnachten und wir finden, es ist an der Zeit, dass wir damit anfangen, unsere bisher sorgfältig gehüteten Vorräte an Weihnachtssüßigkeiten zu plündern. Wir haben sie vor uns selbst in einem leeren Wasserkanister versteckt und sind stolz darauf, dass wir die vergangenen drei Monate durchgehalten und uns nicht daran vergriffen haben. Dafür belohnen wir uns jetzt mit Dominosteinen, Marzipanriegeln, Schokokeksen und am Heiligen Abend mit Lebkuchen. So gut haben uns die Sachen schon lange nicht mehr geschmeckt. Üblicherweise sind wir an Weihnachten schon übersättigt davon. Doch hier ist es ein unbeschreiblicher Genuss. Es ist die richtige Einstimmung auf die vor uns liegenden Wochen, in denen wir hauptsächlich faulenzen, entspannen und es uns gutgehen lassen wollen.

Besonders angenehm ist es, dass wir eine Weile mal nicht Autofahren müssen. Für unsere Ausflüge reicht das Motorrad aus. Bei der ersten Fahrt schauen wir uns die Nachbarbucht Palolem Beach an. Es handelt sich ebenfalls um eine Bucht mit herrlichem Sandstrand und in dem Palmenwald dahinter liegt ein kleiner Ort. Doch damit hat sich die Gemeinsamkeit auch schon erschöpft. Palolem ist der krasse Gegensatz zu Agonda. Hier hat der Tourismus bereits voll zugeschlagen. Entlang der schmalen Ortsdurchfahrt wechseln sich Internet-Cafes, Geldwechsel-Stuben, Restaurants, Verkaufskioske sowie Läden mit Batiktüchern und Baumwollkleidung ab. Es gibt sogar eine „German Bakery“ (= Deutsche Bäckerei), die Vollkornbrot und gesundes, vegetarisches Essen anbietet. Unzählige Touristen sind unterwegs, entweder zu Fuß, mit geliehenen Rollern oder auf den legendären indischen Enfield-Motorrädern. Als wir uns dann am Strand umsehen, an dem sich die Restaurants fortsetzen, merken wir erst, wie ruhig es in „unserer“ Bucht ist.
Wir finden es zwar praktisch, dass wir hier das Internet nutzen können, freuen uns aber, dass wir den Ort wieder verlassen und an einem ruhigen Strand stehen können.

Auch zum Einkaufen können wir leicht mit dem Motorrad fahren. Für kleinere Einkäufe fahren wir nach Agonda. Es gibt fünf kleine Kramerlädchen, deren Warenangebot sich kaum unterscheidet, aber zur Grundversorgung mit Eiern, Milch, Butter, Käse und Süßigkeiten reicht.

Frische, knusprige Semmeln bekommen wir jeden Morgen ans Auto geliefert. Das ist ein toller Service vom Bäcker. Leider kommt er bereits zwischen halb sieben und sieben Uhr morgens und weckt jeden auf, indem er vor den Autos hupt. Wenigstens müssen wir nicht aus dem Bett aufstehen. Wir halten das Geld abgezählt bereit und der Bäcker reicht uns die Semmeln durchs „Schlafzimmer“-Fenster herein.

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Obst, Gemüse, Fisch und alles andere kaufen wir gelegentlich im 14 km entfernten Chaudi. Wir brauchen allerdings nicht all zuviel. Denn wir gehen hier öfter zum Abendessen in eines der Restaurants. Hier wird nicht so scharf gekocht, wie wir das zuletzt in Jaipur hatten. Damals haben wir nach drei Versuchen, bei denen das Essen jedes Mal so scharf war, dass wir keinen anderen Geschmack mehr im Mund hatten, beschlossen, von nun an selbst zu kochen. Hier jedoch ist das Essen würzig, sehr gut und außerdem billig. Wir bezahlen für zwei Personen beim Abendessen (einschließlich Getränken) zwischen 5,– und 8,– DM.

Mit den Feiertagen kommen noch mehr Reisende an, die mit Autos, Motorrädern oder dem Fahrrad unterwegs sind. Einige von ihnen haben wir unterwegs bereits mehrmals getroffen. An Silvester sind es dann an die 20 Personen. Eine Holländerin und eine Schweizerin organisieren in einem der Restaurants ein Silvesterbüfett für alle. Anschließend ist am Strand ein großes Lagerfeuer geplant.
Silvester fängt nicht wie die vorhergehenden Tage mit schönem Wetter an. Als wir aufstehen, hat es 95 % Luftfeuchtigkeit, das ganze Fahrzeug ist außen nass und die Betten fühlen sich klamm an. Es weht ein sehr starker Wind, der immer mehr Wolken bringt. Die Wäsche, die Sonja vormittags wäscht, ist innerhalb kürzester Zeit trocken. Das ist auch gut so. Denn mittags fängt es zu regnen an. Sobald wir die ersten noch einzelnen Tropfen merken, räumen wir alles zusammen und verziehen uns ins Auto. Gerade noch rechtzeitig vor dem heftigen Schauer, der danach folgt. Der Regen bringt jedoch keine Abkühlung, er macht die Luft nur noch dampfiger. Nach einer knappen Stunde ist alles vorbei und die Sonne scheint wieder. Der Wind hat nicht nachgelassen und wir machen die Fenster und die Türe auf, damit es durchzieht.

Das vermittelt uns zwar den Eindruck, als ob es etwas frischer ist, aber nur solange wir nicht auf die Anzeige des Thermometers schauen. Sie steht nämlich auf 35°C. Als wir abends in Restaurant gehen, lassen wir im Unimog die Fenster ganz geöffnet und die beiden Dachluken jeweils einen Spalt breit, damit es für Chicco erträglich bleibt.

Das Restaurant ist knapp 10 Gehminuten entfernt. Die Besitzer haben sich viel Mühe gemacht mit dem Büfett und das Essen ist sehr gut. Es gibt Fisch, Hähnchen in Soße, Gemüse, verschiedene Reiszubereitungen, verschiedene Soßen, Salate und als Nachtisch Vanillepudding mit Obst. Wir sind gerade fertig, als wieder Tropfen fallen, die schlagartig in einen noch stärkeren Regenschauer als mittags übergehen. Alle flüchten unter die erstbeste Überdachung. Doch die hält dem Regen nicht lange stand, weil es sich um ein Dach aus trockenen Palmblättern handelt. Ein Teil der Gäste zieht auf die mit Ziegeln überdachte Veranda des Wohnhauses um, doch es haben nicht alle darunter Platz. Weil wir sowieso schon nass sind, beschließen wir zurückzugehen. Der Regen hat etwas nachgelassen und kalt ist es auch nicht. Wir befürchten, dass es ins Auto geregnet hat, weil der Regen schräg dahergekommen ist. Tatsächlich ist es innen nass. Das meiste haben die Küchenzeile und der Boden unter den Dachluken abbekommen. Die Tagesdecke hat auch einen nassen Fleck, aber damit die darunter liegende Matratze gerettet. Wir trocknen alles so gut es geht. Auf das Lagerfeuer verspüren wir keine Lust mehr, zumal es bis Mitternacht immer wieder regnet. So feiern wir den Beginn des neuen Jahres (und des neuen Jahrtausends) gemütlich im Bett und schauen von dort aus zu, wie in den Restaurants Feuerwerkskörper abgeschossen werden.

Das Regenwetter hält noch bis zum Mittag des 1. Januar 2001 an, dann vertreibt der heftige Wind endgültig die Wolken und es wird wieder schön. Wir sind nicht die einzigen, denen es ins Auto geregnet hat. An jedem Auto sind im Laufe des Tages Aufräumarbeiten zu sehen und die nassen Sachen werden zum Trocknen aufgehängt.

Die beiden Regentage sind die Ausnahme. Ansonsten scheint während den fünf Wochen immer die Sonne und wir genießen jeden Tag unseres Aufenthalts. Endlich kommen wir dazu, ein paar Bücher zu lesen, wir gehen mehrmals täglich schwimmen, Klaus joggt jeden zweiten Morgen und auch Chicco bekommt wieder längeren Auslauf und mehr Bewegung. Besonders gern geht er mit uns zum Wäschewaschen. Das hat zwei Gründe. Zum einen schmeckt ihm anscheinend das Brunnenwasser besser als das gefilterte, das er normalerweise bekommt. In den ersten Eimer, den wir heraufziehen, steckt er sofort seinen Kopf und trinkt so gierig, als ob er seit Stunden nichts bekommen hätte. Dabei gehen wir bis zum Brunnen nicht mal 10 Minuten. Zum anderen hofft er jedes Mal, dass sich ihm vielleicht einmal die Gelegenheit bietet, eines der freilaufenden Schweine oder Rinder zu jagen, die wir auf dem Weg zum Brunnen treffen. Das erlauben wir ihm jedoch nicht und er verrenkt sich den Kopf, um ihnen hinterherzuschauen.

Die Schweine und Rinder haben hier die Funktion der „Müllabfuhr“. Die anfallenden Obst- und Gemüseabfälle werfen wir immer neben den gleichen Busch. Als erstes stürzen sich die Krähen darauf. Was danach noch übrigbleibt, wird von den Schweinen und Rindern gefressen. Jeden Morgen ist die Fläche neben dem Busch wieder so sauber, als ob wir noch nie etwas hingeworfen hätten.

Neben den Haustieren gibt es auch noch einige andere Tiere zu sehen. Bei den Vogelarten können wir gerade mal Reiher, Seeadler und den Eisvogel mit Namen benennen, alle anderen sind uns unbekannt. Zwei Mal beobachten wir eine Schlange, die fast die gleiche grüne Farbe hat wie der Busch, in dem sie sich herumschlängelt.

Affen sehen wir öfters. Sie sitzen manchmal in einem Baum oberhalb vom Strand oder laufen schon mal durch den Palmenwald auf der anderen Seite des Baches. Ein paar Mal sehen wir weit draußen Delfine aus dem Wasser auftauchen. In der Hoffnung, ihnen mit einem Boot näher zu kommen, nehmen wir das Angebot eines Fischers an, der uns zwei Stunden lang für 12,– DM hinausrudern will. Ein anderes Paar schließt sich uns an und zu viert lassen wir uns von zwei Männern in einem Fischerboot herumfahren.

Es geht ein Stück entlang der Küste, die hinter der Bucht völlig unzugänglich aussieht. Dicht bewaldete Berge enden in großen Felsbrocken, die schroff ins Meer abfallen. Nach einer knappen Stunde erreichen wir einen kleinen, schmalen Sandstrand. Hierher gäbe es einen Fußweg, erklären uns die Fischer. Circa zwei Stunden würde es von Agonda aus zu Fuß dauern. Sie zeigen uns zwar den Verlauf des Weges den Berg hinauf, doch von der Weite aus ist für uns in dem dichten Bewuchs kaum etwas zu erkennen. Wir machen eine kurze Pause und die Männer teilen ihren Tee und Gebäck mit uns. Dann rudern sie langsam wieder zurück. Wir kommen wieder an der Stelle vorbei, wo wir auf der Herfahrt schon Schwärme von winzigen Fischen gesehen haben, die aus dem Wasser sprangen. Auch jetzt schießen sie neben und vor dem Boot vorbei. Im Gegenlicht glitzern und schimmern sie silbrig. Wir hoffen immer noch auf Delfine und halten Ausschau danach. Plötzlich schnellt circa 30 m vom Boot entfernt ein Rochen aus dem Wasser heraus. Er springt sicher 1,5 bis 2 m hoch und klatscht dann wieder zurück ins Meer. Das ist natürlich noch viel besser, so etwas haben wir noch nie gesehen. Und gleich danach tauchen auch noch Delfine auf. Wir sind alle hellauf begeistert. Der Bootsausflug hat uns viel Spaß gemacht und wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir zu sehen bekommen haben.

Bei unserer Ankunft in Agonda hatten wir uns noch nicht überlegt, wie lange wir eigentlich bleiben wollten. Inzwischen sind fünf Wochen vergangen und das ist für uns gerade so die Grenze, wo uns das Weiterfahren noch nicht so schwerfällt, wir uns aber genügend erholt fühlen. Außerdem wollen wir in Vagator/Goa noch einen Zwischenstop machen, bevor es auf die lange Fahrt in den Norden Indiens geht. Nach ein paar Stunden Fahrt finden wir bei Little Vagator Beach den Platz, wo man oberhalb des Strandes auf den Klippen frei übernachten kann. Es gefällt uns nicht ganz so gut wie in Agonda, obwohl wir eine schöne Aussicht auf die Bucht haben. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen von Leuten mit Autos und Motorrädern und das bringt doch viel Unruhe mit sich.

Am folgenden Tag fahren wir mit dem Motorrad nach Anjuna, wo jeden Mittwoch der legendäre Flohmarkt stattfindet. Den Weg dahin können wir nicht verfehlen, weil so ziemlich jeder Minibus und jedes Auto bzw. Motorrad in diese Richtung fährt. An dem Tag werden offensichtlich aus den ganzen Hotels Goas die Touristen nach Anjuna gefahren. Zwischen Strand und Straße ist ein riesiges Areal mit unzähligen Marktständen vollgestopft. In der Hauptsache gibt es das zu kaufen, was man normalerweise jeden Tag in den Geschäften und Buden auch bekommt: haufenweise Kleidung und bunte Tücher, Tischdecken, Stofftaschen, Götterfiguren aus Stein oder Metall, Hängematten, Schals, Musikinstrumente, Räucherstäbchen, Bilder, Schmuck, indische Medizin, Lampenschirme, gebrauchte Motorräder, Puppen und Marionetten und allerlei sonstigen Krimskrams.

Daneben natürlich Essen und Trinken. Und dazwischen indische Musiker mit bunt geschmückten Kühen, Gaukler, Seiltänzer, Schlangenbeschwörer, die mit ihren Flöten Kobras aus dem Korb herauslocken. Man kann sich sogar die Ohren reinigen lassen und die Männer, die das mit ihren Stäbchen machen, zeigen dem Publikum jedes Mal stolz, wieviel Schmalz sie aus einem Touristenohr herausholen können. Wir laufen einige Stunden herum und amüsieren uns über das bunte Treiben. Es bildet für uns sozusagen den Abschluss unseres Goa-Aufenthaltes.

Danach fahren wir in östlicher Richtung weiter. Es geht 3 Tage lang quer durchs Land auf kleineren Straßen, bis wir auf den National Highway Nr. 7 treffen. Es ist gerade Erntezeit für eine Art Erbsen die an Sträuchern wachsen, wir wissen nicht was es ist. Das Dreschen wird dadurch erledigt, dass die abgeernteten Büschel auf der Straße aufgeschichtet werden und die Autos darüberfahren. Auch wir fahren kilometerlang immer wieder über die Büschel. Es wird auch noch ein Getreide geerntet, bei dem die Leute zum Dreschen die Garben von Hand auf ein Holzgestell schlagen. Wir kommen uns fast vor wie bei einer Reise in die Vergangenheit. Es gibt kaum Maschinen für Arbeiten, das meiste muss per Hand erledigt werden.

In einem winzigen Ort will Klaus etwas filmen. Die Einwohner geben ihm zu verstehen, dass in einem der Tempel gerade eine Feierlichkeit stattfindet und umgeben von der Dorfjugend gehen wir dahin. Uns wird überall Platz gemacht, damit wir möglichst viel filmen können. Erst werden verschiedene Götterfiguren gewaschen, dann in einer Zeremonie um den Tempel getragen und anschließend innen auf den Boden gelegt. Im Tempel liegen Opfergaben und es brennt ein Feuer, dessen Qualm durchdringend und beißend ist. Bereits nach wenigen Minuten fangen unsere Augen zu tränen an. Doch auch hier sollen wir filmen wird uns von den Leuten bedeutet und deshalb bleiben wir, bis einige der Figuren liegen. Sobald es möglich ist, gehen wir wieder nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Die Zeremonie dauert noch länger an und ist, soweit wir das bei den abgegebenen Erklärungen verstehen, die Vorbereitung für fünf Hochzeiten, die am folgenden Tag stattfinden sollen.

Am Abend müssen wir uns gründlich waschen, um den Rauchgeruch zu vertreiben und die Kleider wandern in den Wäschesack.

Als wir auf dem Highway Nr. 7 sind, kommen wir die ersten Tage recht gut voran. Es ist relativ wenig Verkehr und wir kommen nicht oft durch Ortschaften. Selbst durch Hyderabad, eine Millionenstadt, schaffen wir es ohne uns zu verfahren. Dabei sehen wir gerade mal zwei Schilder, die in die gewünschte Richtung zeigen. Wir fragen einfach an jeder Kreuzung nach der Richtung, in die wir wollen. Dabei müssen wir zuerst herausfinden, auf welche Stadt die Menschen reagieren und rufen ihnen deshalb die Namen der nächsten drei bis vier Orte zu. Sobald wir merken, dass auf einen Ort reagiert wird, bleiben wir dabei und fragen mehrere Herumstehende. In die Richtung, wohin die Mehrheit deutet, fahren wir dann. Nur ein oder zwei Personen zu fragen ist zu wenig. Es kann nämlich passieren, dass sie in eine Richtung deuten, egal ob sie uns verstanden haben oder nicht. Theoretisch kann man sich in Indien auf englisch verständigen – sofern man jemanden findet, der es versteht und spricht. Mit unserer Fragemethode kommen wir ganz gut zurecht, selbst wenn es mal länger dauert, bis wir tatsächlich von der Richtigkeit der Antworten überzeugt sind.

Der Weg nach Khajurao, wo wir einige Tempel besichtigen wollen, ist ausgeschildert. Trotzdem können wir nicht glauben, dass wir richtig sind. Von einer Straße kann man nicht mehr sprechen. In dem Rest Asphalt, der sich einspurig dahinzieht, sind abwechselnd links und rechts riesige knietiefe Löcher, in die wir regelrecht eintauchen, selbst als wir nur mehr Schrittempo fahren. Wir halten erst einen Motorradfahrer und dann einen Lkw-Fahrer an. Beide bestätigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Sie bestätigen aber auch unsere Befürchtung, dass es immer so weitergeht und die Straße nicht besser wird.

Nach einer anstrengenden Stunde Fahrerei haben wir nicht ganz 20 Kilometer geschafft. Damit stehen uns noch weitere 140 Kilometer unter den selben Bedingungen bevor. Ob wir uns das antun, wollen wir am nächsten Tag entscheiden. Für den Tag ist es spät genug und wir finden einen schönen Platz im Gelände zum Übernachten. Wir sind soweit von jeglicher Ortschaft entfernt, dass nicht ein einziger Inder zum Schauen vorbeikommt.

Wir gehen davon aus, dass wir hier ruhig stehen werden. Doch es wird die schlimmste Nacht unserer bisherigen Reise. Etwa eine Stunde, nachdem wir Chicco gefüttert haben, wird er unruhig und will sich nicht hinlegen. Klaus sucht seinen Bauch ab und findet ein paar Kletten, die wir dafür verantwortlich machen, weil wir meinen, sie hätten ihn gepikst. Doch auch nachdem wir sie entfernen, springt er immer wieder auf und schaut die Tür an. Es ist bereits stockfinster. Wir nehmen die Taschenlampe und machen noch einen Spaziergang mit ihm. Er läuft unruhig hin und her. Kaum sind wir wieder im Auto, fängt er an zu würgen. Wir gehen wieder raus, aber Chicco kann sich nicht übergeben, obwohl er immer weiter würgt. Weißer Schleim hängt an seinen Lefzen. Wir werden nun auch unruhig und bleiben vorerst mit ihm draußen. Er kann sich nicht hinlegen und winselt leise vor sich hin. Wir tasten ihn mehrmals ab und merken, dass sich sein Bauch ungewöhnlich fest und hart anfühlt. In uns steigt immer mehr der Verdacht auf, dass er eine Magendrehung hat. Unser erster Hund ist daran gestorben und alle Anzeichen sprechen dafür, dass Chicco das gleiche hat. Klaus sucht in unserem Hundebuch nach Erklärungen, doch auch hier stoßen wir auf die Symptome einer Magendrehung. Inzwischen wird das Winseln von Chicco immer lauter und wir wissen, dass wir dringend etwas unternehmen müssen. Immer wieder tasten wir seinen Bauch ab und merken, wie er anschwillt und größer wird. Wir sind jetzt ganz sicher, dass er eine Magendrehung hat. Das bedeutet, dass er innerhalb der nächsten Stunde auf dem Operationstisch eines erfahrenen Tierarztes liegen müßte, um noch eine Überlebenschance zu haben. Die Aussicht, einen solchen Tierarzt in Indien zu finden, dürfte selbst in einer Großstadt gering sein.

In einer so verlassenen Gegend, wie der, in der wir uns gerade befinden, schätzen wir die Chance auf einen entsprechenden Tierarzt gleich Null. Wir sind völlig verzweifelt, weil wir wissen, dass unser Hund in den nächsten Stunden sterben wird. Es gibt keine Möglichkeit ihm zu helfen und wir können nur dafür sorgen, dass er keine weiteren Schmerzen erleiden muss. In dem Moment als sich Chicco vor Klaus hinsetzt, ihm die Pfote gibt und laut jammert, ist die Entscheidung gefallen. Wir müssen ihn selbst einschläfern. Die Entscheidung fällt uns sehr schwer. Wir müssen für den Augenblick unsere Emotionen unterdrücken, denn jetzt geht es darum, ihn schnellstens von seinen momentanen Schmerzen zu erlösen. Klaus streicht ihm eine narkotisierende Salbe in die Lefzen. Der Wirkstoff wird über die Schleimhäute aufgenommen. Wir geben ihm eine Überdosis davon. Binnen einer halben Minute liegt er benommen am Boden, Augenreflexe sind kaum mehr vorhanden. Er hat jetzt keine Schmerzen mehr und dann gibt Klaus ihm noch eine tödliche Spritze. Kurz darauf ist unser Hund Chicco tot.

Mit Beil und Schaufel graben wir unweit vom Unimog eine halbe Stunde lang ein tiefes Loch in den harten, ausgetrockneten Boden und beerdigen ihn nachts um 22.30 Uhr. Für uns war er seit vielen Jahren ein treuer Reisebegleiter und wir werden ihn und sein lebhaftes, temperamentvolles Wesen sehr vermissen. Es wird sich mit Sicherheit einiges auf unser Reise ändern, weil wir ab jetzt keinen Hund mehr haben. In dieser Nacht machen wir kaum ein Auge zu. Zu viele Erinnerungen gehen uns durch den Kopf und bei jedem Geräusch schauen wir nach, ob sich nicht Tiere am Grab zu schaffen machen.

Bei Sonnenaufgang sind wir bereits draußen und sammeln Steine, um das Grab abzudecken, damit es Tiere nicht wieder aufbuddeln können. Es sind sicher an die 80 kg Steinplatten, die wir darauf legen. Nach einem letzten Blick zurück fahren wir weg und stoppen zum Frühstücken ein paar Kilometer weiter. Uns ist nicht mehr nach Tempel besichtigen zumuten. Wir fahren zurück auf den Highway und direkt nach Varanasi, das wir nach eineinhalb Tagen Fahrt erreichen.

Der Verkehr wird immer mehr, je näher wir der Stadt kommen. Um zum Hotel zu kommen, müssen wir mitten durch die Stadt. An einer Kreuzung staut sich der Verkehr und wir sind eingekeilt zwischen Motorrädern, Fahrradrikschas, Autos und was sonst noch unterwegs ist. Auf einmal merken wir am Heck einen dumpfen Schlag. Klaus steigt aus und schaut nach. Eine Motorradrikscha wollte uns links überholen und ist dabei mit dem Dach gegen die Eingangsleiter gefahren, die unterhalb des Motorradträgers hängt. Die Leiter ist gebrochen. Klaus ist wütend und stellt den Fahrer zur Rede. Der beteuert nur immer wieder, dass er ein armer Mann sei, gibt aber nicht zu erkennen, dass er den Schaden begleichen will. Die Debatte wird immer lauter und heftiger und es kommen immer mehr Leute dazu. Weil wir nicht weiterfahren und einen weiteren Stau verursachen, wird die Polizei darauf aufmerksam. Sie wollen, dass wir zur Seite fahren und dann das Ganze regeln. Doch wir bleiben mitten auf der Straße stehen und beharren darauf, dass wir uns nicht weiterbewegen, bevor sich jemand für die Schadensregulierung verantwortlich zeigt. Während wir noch mit der Polizei diskutieren, ist plötzlich der Fahrer der Motorrikscha verschwunden und hat sein Fahrzeug einfach stehen lassen. Es wird von ein paar Leuten zur Seite geschoben und wir lassen uns überreden, zur gegenüberliegenden Tankstelle zu fahren, nachdem einer der Polizisten versprochen hat, dass sein Chef kommen und die Sache regeln wird. Er setzt sich zu uns in den Unimog und lotst uns durch das Verkehrschaos.

An der Tankstelle will er aussteigen, doch wir sperren die Beifahrertür ab lassen ihn erst nach etwa 10 Minuten hinaus, als sein Chef tatsächlich da ist. Er will uns helfen und uns zu einer Werkstatt bringen, wo wir die Leiter schweißen lassen können. Wir entscheiden, dass es am einfachsten ist, wenn wir den Unimog an der Tankstelle lassen und Sonja dableibt, während Klaus die Leiter zum Reparieren bringt. Er steigt mit der Leiter in eine Motorrikscha und folgt dem Polizisten, der sich von seinem Fahrer chauffieren läßt. Es geht kreuz und quer durch die schmalen Gassen von Alt-Varanasi. Am ersten Halt bei einer Werkstatt schaut sich der Schlosser die Leiter an, dreht ein paar Mal am Fuß und reißt ihn dabei ganz ab. Reparieren kann er ihn nicht, weil er kein Aluminium schweißen kann. Immerhin weiß er eine andere Adresse und die beiden Fahrzeuge fahren weiter dort hin. Da ist Klaus richtig aufgehoben. Der Mann kann Alu schweißen und es ist eine Sache von wenigen Minuten die Leiter zu reparieren. Klaus muss nichts dafür bezahlen. Auch der Rikschafahrer verlangt kein Geld als Klaus wieder zurück am Unimog ist.

Wir verabschieden uns freundlich von dem hilfsbereiten Polizisten und wollen nun endgültig zum Hotel. Einer der Männer, die das ganze Chaos von Anfang an mit verfolgt haben, bietet sich unentgeltlich als Führer an. Er setzt sich zu uns ins Auto und bringt uns zu unserem Ziel. Wir parken für die nächsten Tage im Garten des DAK Bungalows, wo wir recht gut stehen.

Weltreise Etappe Landweg nach Indien

Mit der Fahrradrikscha dauert es 20  Minuten bis zur Hauptattratkion von Varanasi, den Badeghats (Ghat = Ufer/Ufertreppe) am Ganges. Auf dem Weg dahin können wir die „indischste aller indischen Städte“ (= lt. Reiseführer) auf uns wirken lassen. Wenn indisch in dem Fall mit dreckig gleichzusetzen ist, geben wir dem Autor recht. Wir haben schon vieles gesehen und sind einiges gewohnt, doch Varanasi ist für uns die dreckigste, lauteste, aggressivste und heruntergekommenste Stadt. Uns fehlen die Worte um das ganze Elend und Dahinvegetieren der Menschen zu beschreiben. Was wir am ersten Tag noch für einen zufälligen Stau gehalten haben, ist hier Normalität. Die Straßen sind gerade mal am frühen Morgen einigermaßen leer. Sobald am Vormittag das ganze Leben erwacht ist, drängen, schieben und fahren Unmengen von Menschen in hoffnungslos überfülllten Gassen. Bis zu den Badeghats dürfen die Rikschafahrer nicht hinfahren. Wir müssen bereits vorher aussteigen.

Die Richtung ist nicht zu verfehlen, wir lassen uns einfach von der Masse mittreiben. Auf diesen letzten 200 Metern strömen ununterbrochen Pilger zum Fluß oder kommen vom Baden zurück. Zum Ganges hinunter geht es über etliche Stufen, auf denen dicht an dicht Leprakranke, Bettler, Verstümmelte, Kinder, Frauen mit Babys und alte Leute sitzen. Die Pilger versorgen sie auf dem Rückweg mit Geld oder Reis. Wir sind am Hauptghat, wo sich die meisten Menschen aufhalten und wissen gar nicht, was wir uns zuerst anschauen sollen. Wenn man den Dreck ignoriert, bietet sich ein herrliches, buntes Bild. An den Verkaufsständen gibt es die Zutaten für die Gebete: Blumen, Farbpulver, Blätter, Kokosnüsse, Räucherstäbchen, Kerzen. Dazwischen trocknen die Frauen ihre fabigen Saris,  mit denen sie im Ganges gestanden sind.

Weltreise Etappe Landweg nach Indien

Außerdem laufen viele Sadhus in roter oder orangefarbener Kleidung herum. Wir werden von Männern angesprochen, die uns zu einer Bootstour am Ufer entlang überreden wollen. Wir haben uns in der Nähe des Hotels bereits wegen Bootsfahrten erkundigt und wissen daher, welchen Preis wir höchstens bezahlen müssen. Umso überraschter sind wir deshalb, als uns einer der Männer einen Platz im Boot für 25 Rupies pro Person anbietet. Von den Agenturen waren uns Preise von 100 – 200 Rupies genannt worden (10 Rupies = 50 Pfennige). Nachdem wir uns mehrmals rückversichert haben, dass der Preis auch stimmt, steigen wir zu mehreren Einheimischen ins Boot und der Bootsführer legt ab.

Die Fahrt geht langsam und gemütlich dahin, weil sich die Leute die einzelnen Uferabschnitte erklären lassen und dem Rudermann immer wieder Fragen stellen. Die Fahrt ist nicht nur zu ihrem Vergnügen. An einem Badeghat legen wir an und der Bootsführer erklärt uns, dass wir hier warten würden, bis alle ihre Waschungen im Fluß sowie die Gebete im Tempel erledigt hätten. Das gibt uns Zeit, die Rituale eingehend zu beobachten. Die Menschen stehen bis zu den Hüften im Fluß, der nicht nur kalt ist, sondern für unser Empfinden auch unglaublich dreckig. Es treiben ständig Blumen und sonstige Überreste von Opfergaben vorbei, die Abwässer werden hineingeleitet, die Wäsche wird darin gewaschen, die Toten werden vor dem Verbrennen darin untergetaucht und die Asche wird hinterher in den Fluß gekehrt. Für die Pilger zählt das alles nicht, sie erhoffen sich die Reinwaschung von ihren Sünden. Deshalb macht es ihnen auch nichts aus, sich mit dem Wasser den Mund zu spülen und ganz darin unterzutauchen. Nach dem Bad haben sich unsere Mitreisenden umgezogen und verteilen ihre Kleidung auf dem Boot, um sie während der Weiterfahrt zu trocknen. Wir kommen zum Verbrennungsghat, wo auf einem ziemlich heruntergebrannten Holzstoß die Reste einer Leiche zu sehen sind. Die nächste wird gerade gebracht.

Die männlichen Mitglieder tauchen den Leichnam erst ins Wasser und waschen dem Toten das Gesicht ab, bevor sie ihn auf einen neuen Holzstoß legen. Der älteste Sohn umrundet dann fünf mal den Leichnam und zündet ihn an. Nicht mehr alle Leichen werden offen verbrannt. Man ist inzwischen bereits dazu übergegangen, die meisten im Krematorium zu verbrennen. Nach den Verbrennungen wendet der Bootsführer und fährt zurück. Er legt aber nicht am Hauptghat an, sondern rudert zu einem anderen Ghat, wo ebenfalls Verbrennungen stattfinden. Hier steigen wir dann aus und gehen zu Fuß zurück.

Entlang der Treppen sitzen immer wieder Sadhus. Sadhus sind Männer, die aus ihrem normalen Leben „ausgestiegen“ und nun auf der Suche sind nach spiritueller Erleuchtung. Es gibt verschiedene Arten, doch sie sind immer leicht zu erkennen. Ein Teil an ihrer Kleidung, die alle Farbnuancen von orange bis rot aufweist. Diejenigen, die dem Gott Shiva huldigen, rauchen – wie er angeblich auch – Unmengen von Haschisch. Manche beschmieren sich mit Asche und laufen fast nackt herum. Es gibt natürlich welche, die seriös sind und ihre Religion ernst nehmen. Doch es gibt mindestens ebensoviele, die sich sofort in Position stellen, wenn sie einen Touristen sehen und wollen, dass man sie fotografiert – gegen Entgelt natürlich.

Am Hauptghat sitzt einer, der komplett mit Asche beschmiert ist und als besondere Attraktion seine zwei Meter langen Haare herunterläßt. Dann gibt er für die Menge noch einige Yogaübungen zum besten, wobei das Aufstehen auf einem Bein schon recht wacklig ausfällt – anscheinend ist ihm die dicke Haschischzigeratte bereits zu Kopf gestiegen. Zur Zeit sind besonders viele Sadhus unterwegs, weil viele erst zur Kumbh Mela in Allahabad gehen, dann für eine Weile nach Varanasi und von dort aus nach Nepal, wo im Februar ein großes Fest zu Ehren von Shiva stattfindet.

Weltreise Etappe Landweg nach Indien

Bei der Kumbh Mela handelt es sich um das größte Pilgerfest der Welt. Von Mitte Januar bis fast Ende Februar kommen Millionen von Menschen (geschätzt werden in dem ganzen Zeitraum 70 Millionen) nach Allahabad, einer Stadt, die 120 km von Varanasi entfernt ist. Außerhalb der Stadt fließen die Flüsse Ganges und Yamuma zusammen und hier führen die Leute dann ihre Bade- und Waschrituale durch.

Das Fest findet nur alle 12 Jahre statt und weil wir schon so nahe sind, machen wir einen Tagesausflug dahin. Den Unimog lassen wir beim Hotel stehen und mieten uns für den Tag ein Auto mit Fahrer. Es gibt spezielle Badetage, die von Astrologen aufgrund bestimmter Sternenkonstellationen bestimmt werden und wo sich Millionen von Menschen einfinden. Wir fahren an einem normalen Badetag hin, an dem sich vielleicht fünfhunderttausend aufhalten. Die Menschen verlieren sich auf dem riesigen Gelände und nur direkt am Wasser kommt es zu größeren Ansammlungen.

Wir machen auch hier eine Bootsfahrt, die direkt dorthin führt, wo die beiden Flüsse aufeinandertreffen. Hunderte von Boote legen an dem provisorischen Anlegesteg an, damit die Menschen aussteigen und in dem knöchel- bis knietiefen Wasser ihre Rituale vollziehen können. Nach der Bootsfahrt laufen wir noch über das Gelände, sehen wieder unzählige Bettler, Pilgergruppen, die mit Bussen oder Traktor und Anhänger ankommen und natürlich die heiligen Männner = Sadhus. Wir sind froh, dass wir den Ausflug nicht mit dem eigenen Fahrzeug gemacht haben. Bereits auf der Herfahrt waren wir auf der Brücke in einem Stau gestanden und bei der Rückfahrt ergeht es uns nicht anders. Nur ist es uns dieses Mal egal, wie dicht die anderen Verkehrsteilnehmer auffahren, damit darf sich der Fahrer herumschlagen.

Zum Verlassen von Varanasi beschließen wir, bereits um sechs Uhr morgens aufzustehen und ohne Frühstück loszufahren. So wollen wir dem Verkehrschaos entgehen. Und es gelingt uns auch, ohne Probleme durch die Stadt zu kommen, in der so früh kaum was los ist. Nur die Lkw’s fahren bereits. Wir sind gerade am Stadtrand angekommen, als uns ein entgegekommender Lkw streift und die beiden rechten Außenspiegel kaputtmacht. Der untere fliegt in hohem Bogen davon, ihn finden wir nicht mehr. Am oberen ist das Glas zersplittert, aber nicht herausgefallen. Wir kleben ein Band drüber, damit wir wenigstens noch ein bißchen etwas sehen können. Angehalten hat der Fahrer nicht, obwohl der Zusammenstoß sicher auch bei ihm zu spüren war. Wir sind ziemlich wütend und schimpfen noch lange über diese Rücksichtslosigkeit vor uns hin.

Es sind eineinhalb Tage Fahrt bis zur nepalesischen Grenze. Wir freuen uns schon auf Nepal. Wir hatten so viele negative Erlebnisse in der letzten Zeit, dass es uns nicht leid tut, Indien erst einmal für eine Weile zu verlassen.